Mit 1000 Bildern durch 700 Jahre Beilsteiner Geschichte 6

Von der 600jährigen Geschichte der Beilsteiner Judengemeinde

Was den wenigsten Beilstein-Besuchern bewußt ist, das Städtchen besitzt eine ehemalige Synagoge in der Weingasse 13, die im Kern wohl aus dem beginnenden 14. Jahrhundert stammt und auf etwa 600 Jahre jüdisches Leben in Beilstein verweist.

Johann von Braunshorn – Herr zu Beilstein – erhielt 1309 vom deutschen Kaiser Heinrich VII das Recht 10 jüdische Familien in sein gerade gegründetes Städtchen Beilstein anzusiedeln.

Diese 10 jüdischen Familien flüchteten aus dem Oberweseler Raum, wo sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren. (1287 wurde dort der 16 jährige Weinbergsarbeiterjunge Werner ermordet.

Den Mord dichtete man den örtlichen Juden als Ritualmord an und es kam in der Folgezeit zu schlimmen Verfolgungen und Pogromen durch haßerfüllte christliche Eiferer.

Die Volksfrömmigkeit machte ihn zum Märtyrer und alsbald wurde er als „Heiliger Werner von Oberwesel / Bacharach“ verehrt und somit eine antisemitische Legende gesponnen, die leider erst 1963 durch das Streichen des „Werner-Kultes“ im Kalender der Diözese Trier ein offizielles Ende fand.

Doch noch immer findet sich in vielen deutschen Heiligenverzeichnissen der
Heilige Werner von Oberwesel„.

Johann von Braunshorn war kein Menschenfreund. Sein Handeln war bestimmt von berechnender Habgier. Die Juden waren zu dieser Zeit quasi Eigentum des Kaisers. (Sie gehörten zur kaiserlichen Kammer = Kammerjuden). Diese Kammerknechtschaft war vom Kaiser übertragbar auf die Landesherren. Man erwarb somit das Privileg die zumeist gebildeten und fleißigen Juden mit allerlei Steuern und Abgaben auszuquetschen. Die Beilsteiner Juden waren am Ausbau der Stadtbefestigung beteiligt (ab 1310) und halfen der jeweiligen Beilsteiner Herrschaft immer mal wieder finanziell aus der Patsche, was ihnen aber nicht immer gedankt wurde. 1347 raffte eine Pestwelle große Teile der europäischen Bevölkerung hinweg. Gerade in Deutschland machte man die Juden hierfür verantwortlich. Viele von ihnen wurden vertrieben, ja erschlagen oder verbrannt. So ist man wohl auch mit den Beilsteiner Juden 1348/49 verfahren. Jedenfalls gibt es für die Zeit bis etwa 1390 keinen Beleg mehr über ihre Besiedlung in Beilstein. Ab dem 15. Jahrhundert gibt es wieder jüdisches Leben im Städtchen. 1780/81 werden acht Familien bezeugt. 1807 zählt Beilstein 47 Juden, knapp zehn Jahre später sind es bereits 73 und somit machen die Juden fast ein Drittel der Bevölkerung aus. (Den höchsten prozentualen Anteil in der Preußischen Rheinprovinz). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ziehen viele Beilsteiner jüdischen Glaubens fort.
 

Einen Hinweis zur wesentlichen Bedeutung der Juden im Ort, auch noch am Ende des 19. Jahrhunderts gibt uns dieses Dokument (Protokoll) vom 17. Januar 1895.

Von den sieben, damals im Beilsteiner Gemeinderat vertretenen Verordneten waren alleine drei Mitglieder jüdischen Glaubens (David Lipmann 1858-1902, Sigmund Lipmann 1869-1932, Adolf Ruben 1866-1898).

Das Foto habe ich seit langer Zeit in meinem Fotoarchiv.

Es bildet den Marktplatz und das Zehnthaus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ab. Erst als ich die Aufnahme und die abgebildeten Personen stark vergrößerte, entdeckte ich die Besonderheit in der Kleidung des kleinen Jungen, der dort auf dem Karren hockt.

Es handelt sich offensichtlich um einen Jungen, der einen Kaftan und einen Strejml oder Kolpik trägt. Ein Kolpik ist eine traditionell von besonders frommen, zumeist osteuropäischen, chassidischen Juden getragene Kopfbedeckung. Sie wird von Jungen bzw. unverheirateten Männer am Shabbat getragen.

Eine derartige Kopfbedeckung war zum Ende des 19. Jahrhunderts in den jüdischen Landgemeinden des Moselraumes absolut unüblich. Zwei Erklärungsmöglichkeiten bieten sich hier an. In den Jahren 1863 bis 1867 hat die jüdische Gemeinde zu Beilstein für den Schulbetrieb wohl recht verzweifelt einen jüdischen Lehrer gesucht.

Allgemeine Zeitung des Judenthums 11.8.1863

Allgemeine Zeitung des Judenthums 2.8.1864

Allgemeine Zeitung des Judenthums 2.7.1867

Vacazantenliste

Berliner Wochenschrift für jüdische Angelegenheiten – Die Gegenwart, Jahrgang 1, Nummer: 29, vom 19.7.1867

Die Anzeigen beschreiben das Anforderungsprofil an die gesuchte Lehrkraft und auch die vorgesehene Bezahlung. Für qualifizierte d.h. studierte und theologisch ausgebildete Lehrkräfte war dieses Selär und die Aussicht in einem „gottverlassenen“ Moseldörfchen am Ende der Welt zu leben wohl nicht besonders reizvoll. Jedenfalls zeugen die wiederholt geschalteten Anzeigen in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums in den Jahren 1863 bis 1867 vom Misslingen dieser Lehrersuche.Jüdische Lehrer aus dem osteuropäisch- galizischen Raum, aus Polen, Ungarn und Rumänien trieb die Armut nach Westen und sie waren bereit für ein geringeres Gehalt eine solche Stelle anzunehmen. (Man sieht: Armutsemigration von Ost nach West, die sich heutzutage in den Moselorten durch die hohe Anzahl von osteuropäischen Servicekräften im Hotel- und Gaststättengewerbe zeigt, hat es auch schon vor 150 Jahren gegeben.) Möglicherweise handelt es sich auf der Fotografie um den Sohn eines jüdischen Lehrers, der sich in Beilstein um diese ausgeschriebene Stelle beworben hat. Eine zweite recht interessante und mögliche Erklärung fand ich in der Beschreibung von Ernst Kahn, einem Bullayer Juden, die er 1995 anläßlich eines Besuches in seiner ehemaligen Heimatgemeinde über seine Kindheit 80 Jahre zuvor dort kundtat: „Für unsere jüdischen Lektionen hatten wir den Lehrer, wie wir ihn nannten, Herrn Kornfeld aus Budapest. Der war noch ärmer als wir, und so fuhr er moselauf und moselab, von einer jüdischen Familie zur nächsten, blieb eine Woche, brachte den Kindern Hebräisch bei und half ihnen bei ihren Bar Mizwa Lektionen. Dann zog er zur nächsten Familie.“Auch dieser Bericht könnte erklären, weshalb auf einem rund 150 Jahre alten Beilsteiner Foto ein Knabe mit einer Kolpik Kopfbedeckung erscheint. Jedenfalls handelt es sich bei dieser Aufnahme um das erste fotografische Zeitdokument, welches vom „Jüdischen Beilstein“ zeugt. Es wird hoffentlich nicht das letzte Foto sein, welches ich hierzu gefunden habe.(Fotoaufnahme: etwa 1863 bis ca.1890)

Pfarrer von Freyhold
(1839-1919)

 

Ein zeitgenössisches und in Teilen antijudaistisch gehaltenes Gedicht des von 1888 bis 1896 in Beilstein tätigen Pfarrers Ladislaus Stanislaus Ferdinand von Freyhold zeigt auf, dass Beilsteiner jüdischen Glaubens auch nach fast 600 Jahren in Beilstein immer noch von vielen Zeitgenossen als „schlimmer Fremdkörper“ und als zutiefst unerwünscht im Dorf betrachtet wurden.

Rund zehn Jahre nach den Beschreibungen Pfarrer Freyholds, also zum Ende des 19. Jahrhunderts lebten noch etwa 40 Juden im Ort. 1925 waren es gerade einmal noch sieben jüdische Beilsteiner.

Damit war kein Minjan mehr vorhanden (Mindestanzahl von zehn religiös mündigen Männern, um einen jüdischen Gottesdienst feiern zu können).

 

Einen recht guten Einblick in die religiöse und soziale Situation der Jüdischen Gemeinde Beilsteins verschafft uns eine Statistik, die 1905 im Statistischen Jahrbuch deutscher Juden veröffentlicht wurde. Danach besaß seinerzeit die hiesige Judengemeinde noch 39 Mitglieder bei einer Gesamteinwohnerzahl Beilsteins von 220 Personen. Der jüdische Gemeindeetat umfasste für das ganze Jahr 1904 eine Summe von 100 Mark, die von 8 Gemeindemitgiedern aufgebracht wurde. Aus diesen geringen Mitteln wurden 40 Mark für Armenunterstützung aufgewendet. Die Statistik benennt in Beilstein eine aktive Synagoge mit allwöchentlichem Gottesdienst am Shabbat (Freitagabend oder Samstagvormittag). Die Gemeinde ist allerdings so arm, dass sie sich keinerlei bezahlte Kultusbeamte (Rabbiner, Lehrer, Schochet, Kantor, Synagogendiener) leisten konnte. Als Vorsteher der Israelitischen Gemeinde zu Beilstein wird 1904 Jacob Elias genannt.

Der folgende Aufruf stammt aus dem Israelitischen Familienblatt in der Ausgabe vom 4.Februar 1904. Der Inhalt verweist auf eine gewisse innerjüdische soziale Verantwortung, auch über die Grenzen der eigenen Gemeinde bzw. des eigenen Wohnortes hinaus gehend. Diese Fürsorge und gegenseitige Unterstützung fußt auf eine Jahrtausende alte Tradition im Judentum, der sogenannten Zedaka (d.h. wohltätige gegenseitige Unterstützung). In diesem Fall sollte der Familie des verstorbenen Beilsteiner Juden Jacob Levy materielle Unterstützung gewährt werden. Die Mittel aus dem Etat der Beilsteiner Judengemeinde waren (wie bereits erwähnt) sehr gering. Levy wurde hier im Text als der 40 Jahre lang dienende Gemeindebeamte bezeichnet, was insofern ungewöhnlich war, da laut der Statistikübersicht von 1904 keinerlei bezahlte Gemeindebeamte in Beilstein erwähnt wurden. Seine Tätigkeit musste er somit rein ehrenamtlich ausgeübt haben.

1867 entließ die Beilsteiner Judengemeinde aus Kostengründen Karl Simon, den letzten Lehrer der gemeindeeigenen jüdischen Schule. Die Aufgaben eines Kantors, Schächters, Synagogendieners und weitere Verwaltungsaufgaben mussten weiterhin erledigt werden. Jacob Levy übernahm ab diesem Zeitpunkt offenbar etliche jener Aufgaben als so bezeichneter Gemeindebeamter. Die Familie dürfte in großer Not gelebt haben. Über den Erfolg bzw. Mißerfolg des Hilfeaufrufes von 1904, das Schicksaal seiner Ehefrau und der vier Kinder konnte ich bisher nur eines erfahren: Das zweitjüngste im Aufruf erwähnte Kind Eduard Levy (geboren 26.8.1898), seinerzeit fünfjährig, wurde von den Nazis nahezu 40 Jahre später in Auschwitz ermordet.

Mitte März 1904 schaltet der Cochemer Lehrer Mannheimer in der gleichen Zeitung eine Anzeige mit Danksagung. Um 1900 finden sich in besagtem Israelitischem Familienblatt zahlreiche solcher Spendenaufrufe für bedürftige Juden im Reich. In darauf folgenden Danksagungen wurden manchmal Namen und Beträge der Spender veröffentlicht. In diesen Spendenlisten tauchen auch immer wieder Beilsteiner Juden mit zumeist sehr geringen Kleinstspenden auf. Selbst unter den Bedingungen äußerster Armut  war die Zedaka für jüdische Beilsteiner ein wichtiger Teil ihres Glaubens.

Nach dem 1. Weltkrieg war die Anzahl der jüdischen Beilsteiner durch Sterbefälle und Wegzüge soweit gesunken, dass sich die israelitische Gemeinde gezwungen sah, sich aufzulösen und die wichtigsten Kultusgegenstände aus der Synagoge zu verkaufen. In dieser Anzeige aus dem „Jüdischen Boten vom Rhein – Jüdisches Wochenblatt“ vom 16. April 1920 bietet die israelitische Gemeinde zu Beilstein wegen Aufhebung diverse Kultusgegenstände, Bücher, selbst eine Tora Rolle zum Verkauf an. Desweiteren eine Megillo ( das ist eine der fünf jüdischen Megillot Rollen, die zu Feiertagen im Gottesdienst gelesen werden; in dieser Anzeige geht es um das Buch Esther, welches zum Purimfest gelesen wird).
Die zwei angebotenen Schauforim sind Widderhörner, die als Blasinstrument zum jüdischen Neujahrsfest geblasen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte wohl schon einige Jahre in der Beilsteiner Synagoge kein eigener Gottesdienst mehr stattgefunden und der Vorstand der israelitischen Gemeinde (vertreten durch Karl Koppel, den ich im Folgenden noch näher vorstellen werde) versuchte Gegenstände zu verkaufen, die ohne das Abhalten von regelmäßigen jüdischen Gottesdiensten keinen Sinn mehr machten.

Ner Tamid = Ewiges Licht. Hängt in jeder Synagoge vor dem Tora Schrein und steht symbolisch für die Allgegenwart Gottes. Standort seit 1925:
Im Rittersaal des Hotel Haus Lipmann/ Beilstein

Ner Tamid- Leuchte im Rittersaal
(Aufnahme Hotel Lipmann um 1925)

Messingkanne, Nürnberger Arbeit des 16./17. Jahrhunderts.
Wurde 1925 von Sigmund Lipmann veräußert an das Rheinische Museum. Standort seit 1956:
Kölnisches Stadtmuseum

Einige Kultusgegenstände gelangten in den Besitz des Hoteliers und letzten Vorstehers der jüdischen Gemeinde Sigmund Lipmann, andere wurden nach auswärts verkauft. Die uralte Pergamentrolle Megilla Esther fand 1920 wohl keinen Käufer und befindet sich heute in Beilsteiner Privatbesitz. Schließlich machte auch der Unterhalt des Synagogengebäudes (im Privatbesitz von Sigmund Lipmann) keinen weiteren Sinn mehr. 1925 wurde die Synagoge mit dem rechts angrenzenden Wohnhaus an eine Beilsteiner Familie verkauft. Die neuen Besitzer hielten im Keller ihre Kuh und auch einige Schweine.

Der ehemalige Gottesdienstraum mit seiner ursprünglichen Höhe von etwa sechs Metern erhielt auf der Ebene der Frauenempore eine neu eingezogene Balkendecke.

Der obere Teil wurde als Heuboden genutzt, der untere Teil hingegen zwischen 1925 und den 1970er Jahren als Kelter und Abstellraum.

Das Foto bildet die Balkendecke und nach Osten hin gelegen die bereits zugemauerte und verputzte Toranische ab.

 

 

Teile der um 1820 entstandenen geschnitzten Holzvertäfelung aus der Frauenempore.   

Der dreigeschossige Bruchsteinbau dürfte wohl zu den ältesten Gebäuden Beilsteins zählen. Eine moselseitige Verlängerung des Gebäudes stammt möglicherweise aus dem 18. Jahrhundert. Im Vorraum führen einige Stufen in das Kellergewölbe, indem sich das Becken einer Mikwe befunden haben soll. Eine andere Treppe führt in den zweigeschossigen Betsaal.

 

 

Blick auf das ehemaliges Wohnhaus des jüdischen Lehrers/ Kantors.

Links daneben Eingang zur ehemaligen Synagoge.

Aufnahme: Sommer 1933, acht Jahre nach dem Verkauf des Synagogengebäudes  

Durch eine zweiflüglige Türe, gehalten im klassizistischen Stile des beginnenden 19. Jahrhunderts, trat man in den Gottesdienstraum ein. Das Foto bildet die beiden Türblätter im ausgehangenen Zustand ab.

Die Eingangstüre wurde ursprünglich umrahmt von zwei gusseisernen Säulen (Boas und Jachin). Beide Säulen verweisen auf das Urzelt der Israeliten und den salomonischen Tempel in Jerusalem.

Sie hatten in der Beilsteiner Synagoge eine sakrale und keine statische Funktion.

Die Jachinsäule wurde nach dem Verkauf der Synagoge entnommen und stützte seit den 1920er Jahren den Anbau der ehemaligen Jugendherberge auf dem Marktplatz.

Nicht ganz leicht zu erkennen ist die kannelierte Säule auf dieser Aufnahme.

Die Terrasse wird im Eckbereich von einem Betonpfeiler abgestützt.

Dahinter wurde als zusätzliche Stütze die gusseiserne Säule aus der Synagoge eingebaut.

Interessanterweise wurde sie bei der Neuerrichtung des Gebäudes 2014 an der gleichen Stelle als Spolie wiederverwendet. (Auf einem Sockel stehend um 30 cm erhöht).

Das „innere Nordtor“ habe ich bereits vorgestellt.

Was diese Aufnahme von 1928/30 so interessant macht, sind die abgebildeten Personen.

Neben dem Winzer Ernst Kochems, der hier seinen Karren mit Runkelrübenblättern für sein Vieh beladen hatte und etlichen Kindern, erkennt man als fünfte Person von links die Tochter des jüdischen Ehepaares Koppel, Gertrude Koppel (geb. 1.2.1916).

Sie ist schließlich im Jahre 1937 zu ihrem Onkel Julius Koppel, der schon einige Jahre zuvor von Beilstein in die USA emigrierte gezogen.

Gertrude Koppel unterhalb der Beilsteiner Burg, Aufnahme etwa 1935 kurz vor ihrer Emigration in die USA

Diese Auswanderung dürfte der seinerzeit 21 jährigen Gertrude, wie sicherlich auch ihren Eltern nicht leicht gefallen sein.

1937 war die Hetze, Erniedrigung und Verfolgung der jüdischen Bürger in Deutschland bereits so weit fortgeschritten, dass sich die Flucht nach Amerika als sehr hellsichtig erweisen sollte.

Gertrude Koppel entging hierdurch dem Massenmord an den Juden, den der deutsche Faschismus wenige Jahre später planmäßig und industriell durchführte.

Sie ist schließlich mit Erreichen ihrer Volljährigkeit 1937 zu ihrem Onkel in die USA emigriert. Eine Entscheidung, die den Eltern bestimmt nicht leicht gefallen sein dürfte. Spätestens die „Nürnberger Rassegesetze“ von 1935 ließen allerdings jede Hoffnung schwinden, dass sich der Antisemitismus und die Judenverfolgung in Deutschland als kurze Periode herausstellen könne. Julius Koppel (1869-1960), der Bruder von Karl Koppel war bereits im Jahre 1900 von Beilstein nach Dallas/ Texas ausgewandert.

 

 

Ihre Eltern hingegen – Theresia und Karl Koppel konnten sich nicht vorstellen Beilstein und Deutschland zu verlassen.

Auch dass man ihnen einmal ihren Lebensmittel- und Kolonialwarenladen auf dem Beilsteiner Marktplatz zwangsweise abnehmen würde (so geschehen nur ein Jahr später im Jahre 1938) lag wohl außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Eine Aufnahme dieses Lädchens (linkes Haus im Hintergrund, unteres Fenster und Eingangstüre) fand ich im Rühmann- Film „Wenn wir alle Engel wären“, der 1936 in Beilstein gedreht wurde.

Koppels Laden aus anderer Richtung gesehen.
Der Text auf dem Ladenschild lautet:
Kolonialwaren Wurst Rauchwaren Karl Koppel.

Diesen Blick hatten Karl Koppel und seine Kunden, traten sie aus der Ladentüre heraus und wendeten sich nach links Richtung Alte Wehrstraße (hinter den beiden Torbögen) Durch die aüßere schräge Kellerluke gelangte man in den Vorratskeller. .

Theresia Koppel, Sohn Hugo Koppel, Tochter Gertrude Koppel,
Karl Koppel (Aufnahme ca. 1920-22)

Diese alte Aufnahme bildet im Jahre 1916 fast die ganze Familie Koppel ab. Die Ablichtung entstand vor der ehemaligen Kornmühle (heute Straße „Im Mühlental“). Man kann davon ausgehen, dass sie zur Bar Mizwa Feier von Karl Koppels 13jährigem Sohn Hugo (geb. 11.12.1903) entstand. Diese Feier hat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit am Freitagabend, dem 15. Dezember 1916 in der Beilsteiner Synagoge stattgefunden. Das Foto dürfte dann bei Tageslicht am darauffolgenden Tag, Samstag, den 16. Dezember 1916 aufgenommen worden sein. Berücksichtigt man den Schattenwurf, kann man die Uhrzeit sogar auf ca. 15.00 Uhr bis 16.00 Uhr nachmittags eingrenzen. In der oberen Reihe, ganz links steht der Bruder von Karl, Julius Koppel (1869-1960), der schon 1900 nach Texas ausgewandert war und zur wichtigen Familienfeier in Beilstein weilte. Neben ihm die Schwester Mathilde Koppel und rechts außen Karl Koppel. Im Vordergrund sitzen die, zwischen 1830 und 1840 geborenen Großeltern Philipp und Gertrud Koppel.

Der 13jährige Hugo Koppel macht hier, umrahmt  von seinen Eltern, nicht den glücklichsten Eindruck. Vielleicht sind ihm die Anstrengung und Aufregung seiner erstmaligen Lesung aus der Tora Rolle am vorangegangenen Abendgottesdienst noch anzumerken. Auch trägt er Kleidung, die nicht wirklich für einen Dreizehnjährigen geschaffen war. Das Foto wurde ganz offensichtlich am gleichen Tag aufgenommen. Die Tante Mathilde Koppel befand sich am linken Bildrand. Berücksichtigt man den leicht veränderten Schattenwurf der Personen, kann man sogar sagen, dass dieses Foto einige Minuten vor der Aufnahme des vorherigen Fotos angefertigt wurde. Der Gang der Nachmittagssonne mit ihrem geringfügig veränderten Schattenwurf verrät uns dieses.

Karl Koppel, geb. 4.4.1871 und seine Frau Theresia Koppel, geb. 4.1.1881 mussten ihren Kolonialwarenladen nach dem Novemberpogrom vom 9.auf den 10. November 1938 ( von den Nazis beschönigend „Reichskristallnacht“ betitelt) aufgeben.
Wenige Monate später, im Frühjahr 1939 zogen sie mit der Schwester Mathilde Koppel, geb. 9.9.1874 nach Köln in die Straße Karthäuserhof 38 III. Ihr Beilsteiner Haus hätten sie bestimmt gerne zu einem guten und reellen Preis verkauft. Spätestens seit dem Pogrom war es Juden in Deutschland allerdings nicht mehr möglich ihre Unternehmen, Häuser und Grundstücke auf dem freien Markt zu veräußern. Diese Verkäufe wurden von staatlicher Seite reglementiert und in der Regel zu Ungunsten der jüdischen Verkäufer organisiert. So mancher „arische Volksgenosse“ hat sich in jener Zeit mit „Schnäppchenkäufen“ gesund gestoßen.

Anfang der 1950er hatten die neuen Besitzer fast nichts am Laden verändert. Selbst Karl Koppels Metalleinfassung für das Werbeschild wurde übernommen.

Bereits drei Tage !!! nach dem Pogrom wurde am 12. November 1938 die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ verkündet. Mit dieser Verordnung wurde allen Juden in Deutschland der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen und das selbständige Führen von Handwerksbetrieben zum 31.12.1938 verboten. Das zwang auch Karl Koppel seinen Laden auf dem Marktplatz aufzugeben. Im nun dokumentierten Brief vom Sommer 1939 erkundigt sich Karl Koppel bei seinen ehemaligen Nachbarn Jobelius nach dem Zustand seines früheren Besitzes, dem Wohnhaus in der Alten Wehrstraße.

Wohnhaus der Familie Koppel in der Alten Wehrstraße, aufgenommen im Sommer 1938.
(Gebäude am rechten Bildrand)

…und einige Wochen später im Herbst 1938. Die winzige Terrasse ist mit Küchenkräutern, Gurken, Tomaten etc. bepflanzt. Ein Teppich hängt zum Ausklopfen über der Brüstung.

Zu diesem Zeitpunkt trat das Landratsamt Cochem wohl schon juristisch als Zwangsverkäufer des Koppel`schen Besitzes auf. Ich dokumentiere den Brief vom 27.6.1939 im Folgenden in Gänze. Zur Erleichterung meiner Leser habe ich den Originalbrief in eine lesbare Form transkribiert ( durch Anklicken lesbar). Schreibfehler und mißverständliche Formulierungen habe ich nicht verändert.

Brief größer hier

Der Brief zeigt auf, dass es auch im Jahr 1939 in Beilstein noch Menschen gab ( hier Hermann Jobelius und seine Familie), die ihrem langjährigen jüdischen Nachbarn noch wohl gesonnen waren. Das Dokument zeigt aber auch mit wieviel Herzblut Karl Koppel noch an seiner alten Moselheimat Beilstein, seinem Haus, der 39er Weinlese und seinem Garten hing. Die Koppels besaßen auf der anderen Moselseite in Ellenz-Poltersdorf, wie viele andere Beilsteiner gleichermaßen einen Obst- und Gemüsegarten. Neben dem Eigenverzehr bauten sie hier insbesondere Früchte und Gemüse für ihren Lebensmittelladen an.

Das folgende Foto (Aufnahme zwischen 1933-38, vierte Person von links) bildet Thersia Koppel, die Ehefrau von Karl Koppel ab. Sie setzt offensichtlich nach getaner Gartenarbeit mit der Fähre über auf die Beilsteiner Seite. Auf dem Rücken trägt sie eine geflochtene Hotte, lange Zeit das übliche Transportgerät an der Mosel für Obst und Gemüse.

Fähre mit Personen um 1935 Theresia Koppel
Theresia Koppel geboren am 4.Jan. 1881 in Pünderich/Mosel, ermordet am (21.)? Sep. 1942 im deutschen Konzentrationslager Treblinka

 

 

In den zwanziger Jahren versuchten die Koppels bsw. mit dieser Anzeige jüdische Moselurlauber in ihr winziges Haus einzuladen.

Ob die Werbeanzeige aus dem Israelitischen Familienblatt vom 2. April 1925 tatsächlich eine Zusatzeinnahme zum kärglichen Familieneinkommen generiert hat ist kaum vorstellbar.

Karl Koppel hätte seine Heimat Beilstein unter anderen Umständen wohl niemals freiwillig verlassen. Die Familie Koppel hat noch drei Jahre in Köln gelebt. Am 15.Juni 1942 mussten sie sich an der „Judensammelstelle auf dem Kölner Messegelände“ einfinden. Dort wurden die drei – sie waren zu dem Zeitpunkt schon zwischen 61 und 71 Jahre alt – in Viehwaggons gepfercht und deportiert; zunächst in das Konzentrationslager Theresienstadt, wo sie am darauffolgenden Tag, dem 16. Juni 1942 ankamen. Dieser Transport mit der Bezeichnung III/1 umfasste insgesamt 963 Personen, zum großen Teil ältere Menschen. Eigentlich war dieser Zug gar nicht geplant, wurde jedoch vom Kölner Gauleiter Grohé kurzfristig angefordert um für nichtjüdische Opfer des Bombenangriffes auf Köln vom 30. Mai 1942 schnell neuen Wohnraum zu schaffen.Die Kölner Juden mußten also eiligst aus der Stadt! Wegen der Eile, wurde wohl auch erstmalig ein Güterwagon/ Viehwagen für den Transport von Menschen eingesetzt. Wie es Karl Koppel, seiner Frau und seiner Schwester auf diesem Transport ergangen sein muß, kann man sich heute kaum ausmalen. Rund drei Monate später am 19. September 1942 wurde die Familie Koppel aus dem völlig überfüllten Ghetto Richtung Osten in das Vernichtungslager Treblinka deportiert. Dort wurde Karl Koppel zwei Tage später am 21. September 1942 ermordet. Für Schwester und Ehefrau ist kein Todesdatum dokumentiert. Wahrscheinlich aber hat man sie am gleichen Tag umgebracht. Heute erinnert in Beilstein an die jüdische Familie Koppel, ihren Laden und ihr Leben rein gar nichts mehr!

Nachtrag:

Karl Koppels Sohn aus erster Ehe, Hugo Koppel (1903-82) hat die Shoa (Holocaust) überlebt, weil er 1939 gemeinsam mit seiner Ehefrau zunächst nach Bolivien, später in die USA ausgewandert ist. Im Brief erwähnt sein Vater Karl Koppel, dass man sich in Köln noch einmal gesehen hat und Abschied voneinander nehmen musste. Sein Sohn Rene, 1944 in LaPaz/ Bolivien geboren hat vor einigen Jahren die Familie Jobelius in Beilstein besucht. Gertrude (Trudy) Koppel schließlich, die Tochter Karl Koppels ist 2019 nach einem langen und erfüllten Leben in ihrer neuen Heimat USA im Alter von 103 Jahren gestorben. Auch die Tochter von Gertrude, Ruth Schutzbank besuchte Beilstein öfter in den 1960er und 1980er Jahren.

Gertrude am 1. Februar 2016 anlässlich ihres 100. Geburtstages mit ihrem Neffen René Koppel und ihrer Tochter Ruth Schutzbank

Literaturempfehlung:

•  A. Gottwald und D. Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
•  Angelika Schleindl, Spuren der Vergangenheit. Jüdisches Leben im Landkreis Cochem-Zell, Briedel 1996 mosella-judaica.de
•  www.bundesarchiv.de
•  Holocaust Gedenkstätte yad vashem
•  NS- Dokumentationszentrum der Stadt Köln – Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nach Namen
•  www.bayerisches-nationalmuseum.de

Von steilen Dächern und langen Treppen

Blick vom Kloster hinab auf Beilsteiner Dächer. (Foto etwa 1900)

Der Fotograf ist hier nur 20 Stufen die Klostertreppe hinab geschritten und blickt nun auf die Häuser links und rechts der Treppe mit ihren uralten Schieferdächern. (Foto ebenfalls um 1900)

Am Fuße der Klostertreppe auf der rechten Seite befand sich um 1900 auch noch ein ganzes Haus, welches komplett verschwunden ist ( heute Vorplatz und Stühe/ Tische der Winzerschenke Sausen). Ein weiteres Mal wird deutlich, wie eng die Bebauung das heißt die Wohnverhältnisse über Jahrhunderte im Ortskern von Beilstein waren.

Zur Eingangstüre des heutigen Gebäudes Winzerschenke gelangte man seinerzeit vom Fuße der Klostertreppe aus über diesen schmalen, gepflasterten Weg. Auf der Rückseite des heute abgetragenen Hauses maß der Abstand zum dahinter liegenden Wohnhaus ( heute Winzerschenke Sausen) weniger als zwei Meter.

Diese Dächer mußten auch einmal repariert werden.

Dieses seltene Foto zeigt einen Dachdecker bei der Neubeschieferung des Daches „Haus kein Moselblick“ in der Bachstraße 50.

Vor 100 Jahren war Kinderarbeit auch bei solch gefährlichen Tätigkeiten nicht selten. Sicherheitsvorkehrungen und moderne Gerüste konnte sich kaum jemand leisten, dementsprechend gefährlich war der Beruf des Dachdeckers. (Foto etwa 1915)

Von schwerem Leben und frühem Sterben

Das Ferien- und Seminarhaus „Altes Spukhaus“ in der Bachstraße 51 stammt aus der sogenannten Gründerzeit (1871 bis 1880er Jahre). 

Dieses Familienfoto auf der Außentreppe entstand um 1910 – zeigt also die zweite oder dritte Generation im Hause.

Kinderreichtum war vor 100 Jahren keine Seltenheit, sondern eher Ausdruck von Armut und dem Versuch die Familie mit möglichst vielen eigenen Arbeitskräften am Leben zu halten.

 

 

Dieses Foto zeigt das gleiche Elternpaar auf der Bachstraße stehend.

Auf der Treppe zum Hauseingang bemerkt man einige Hühner. Freilaufende Hühner sind auf historischen Beilstein Fotos recht häufig zu sehen. Die präkeren sozialen Bedingungen der meisten Familien in Beilstein zwangen zu einem hohen Grad an Selbstversorgung.

Viele Familien hielten eine eigene Kuh im Keller.
Ziegen, Schweine, Kaninchen waren nicht selten – Hühner fast die Regel. Bei der gläsernen Flasche, die der Familienvater in der rechten Hand hält dürfte es sich wohl um eine Flubbes Flasche handeln.

Flubbes oder Haustrunk war an der Mosel das „arme -Leute-Getränk“. Dieser alkoholarme, gerbstoffreiche Wein wird gewonnen durch Gärung von nichtbehandeltem, in Wasser aufgeschwemmtem Trester (den Rückständen der Trauben nach der Pressung).

 

 

Es war der Durstlöscher der Weinbergsarbeiter und Landarbeiter. Allerdings war er auch im höchsten Maße ungesund.

Die in früheren Zeiten im Weinberg heftig eingesetzten Spritzmittel und Schwermetalle konzentrierten sich vorallem in der Beerenhaut und gaben dementsprechend viele Giftstoffe bei der zweiten Gärung in den Flubbeswein ab.

Die Aufnahme aus den 1930er Jahren bildet Weinbergsarbeiter, zum Teil aus der Beilsteiner Familie Boos, während der Weinlese ab. Bei einer Arbeitspause wird eine Steingutflasche mit Flubbes herumgereicht.

 

Bis 1942 wurden an der Mosel arsenhaltige Insektizide verwendet, die sich bei den Winzern insbesondere über den Konsum von Flubbeswein im Körper anreicherten.

Arm sein hieß auch an der Mosel lange Zeit : Früher sterben.

Das Foto zeigt etwa im Jahr 1935 vor einem Fuderfass Wein (Inhalt 1000 Liter) stehend eine Gruppe von Beilsteiner Jungwinzern.

Medienempfehlung zum Thema:

Dokumentation des SWR:

100 Jahre Weinbau im Südwesten

 

Auch an der Mosel war seit dem 18. Jahrhundert das wichtigste Grundnahrungsmittel die Kartoffel.

Ursprünglich aus Amerika stammend, verbreitete sich die Pflanze ab den 1520er Jahren in ganz Europa. In Preußen sorgte König Friedrich II ab 1740 für das massenhafte Anpflanzen der Kartoffel.

In den folgenden Jahrzehnten half sie dabei so manche Missernte und Hungersnot zu lindern und war lange Zeit das klassische „arme-Leute-Nahrungsmittel“.

Die Beilsteiner konnten Kartoffeln in ihren Gemüsegärten, die sich zumeist in Ellenz auf der anderen Moselseite befanden leicht anbauen.

Das Fotodokument zeigt den Großvater vor dem Wohnhaus der Familie Jobelius in der Beilsteiner Weingasse beim Schälen einer größeren Menge an Kartoffeln.  (Aufnahme Juni 1933)

 

Von kalten und kargen Wintern – oder wie die Loheichen die Armut an der Mosel linderten

 

Von den schlimmen und äußerst ärmlichen sozialen Bedingungen, die das Leben der Mosellaner über Jahrhunderte kennzeichneten, war an dieser Stelle nun schon öfter die Rede.

So waren viele Winzer bestrebt neben dem Weinbau und einem hohen Maß an Selbstversorgung die Familie mit weiteren Nebentätigkeiten am Leben zu halten.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fand man heraus, dass sich das Tannin (ein Inhaltsstoff in der Baumrinde der Eiche) zum Gerben von Tierhäuten und somit zur Produktion von Leder sehr gut eignete.

In der Folge wurden an der Mosel, so auch im Beilsteiner Umland ab etwa 1800 etliche Flächen mit jungen Eichensetzlingen bepflanzt.

Nach etwa 20-30 Jahren konnten die Eichen erstmalig „abgeerntet werden“.

 

Im Frühjahr wurden die Stämme von ihrer Rinde befreit.

Dieser Vorgang heißt Schleißen und wurde mit einem speziellen Werkzeug, dem Schäl- oder Schleißermesser vollzogen.

Anschließend wurden die jungen Eichen bis zum Boden abgesägt. Die Rinde wurde als sogenannte Lohe weiterverarbeitet, die Holzstämme als Brennholz verkauft. Nach dem Absägen der Eichenstämme und bevor sich aus den im Boden verbliebenen Wurzelstöcken wieder ein neuer Eichen- Niederwald bilden konnte, hat man die Fläche einer landwirtschaftlichen Zwischennutzung zugeführt. Nach dem Roden des Areals wurde der Boden aufgehackt und gelockert. Zwischen den verbliebenen Wurzelstöcken der Eiche wurde im Mai Kartoffeln angepflanzt, im zweiten Jahr Roggen ausgesät, den man im darauf folgenden Jahr ernten konnte. Im dritten Jahr wurde dann Hafer, Gerste oder Buchweizen ausgesät. Weiterhin wurde der auf den gerodeten Flächen wachsende Ginster des Öfteren zur Stallstreu, zum Anheizen des Herdfeuers oder auch zum Herstellen von Besen verwendet. Diese, aus der Not heraus geborene, intensive Zwischennutzung laugte den Boden aber stark aus und verminderte die Rindenqualität. Beschädigung der Wurzelstöcke verlangsamte mitunter den Wiederaustrieb der Eichen.

 

Nach einigen Jahren wuchsen dennoch aus den Wurzelstöcken neue Triebe und bildeten einen charakteristischen Niederwald, an der Mosel auch als Lohhecken bezeichnet.

Dieser Niederwald gedieh auch auf kargen Böden, die ansonsten keinen guten Ertrag schufen.

 

Hatte man die Lohe aus dem Wald gebracht, trocknete man sie in Scheunen oder Lohspeichern und bündelte sie in sogenannte Bürden zu je 20-25 Kilogramm.

Das Foto vor dem Zollhaus zeigt aufgeschichtete Bürden vor dem Abtransport in eine Lohmühle.

Diese Lohmühlen entstanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts an zahlreichen Orten an der Mosel.

Der Lohmüller häckselte und zermahlte die Rinde und presste sie zu Blöcken, die er hernach an Gerbereien verkaufte.

Dorthin hatten Abdecker und Metzger die Tierhäute ihrer geschlachteten Tiere gebracht.

Ein etwa 4 Meter hoher Haufen mit Lohe-Bürden, aufgestapelt vor dem Beilsteiner Zollhaus. (Aufnahme: ca. 1900/10)

 

Es scheint, als wäre dieser Freiplatz nördlich des Zollhauses
in jedem Jahr der Sammelplatz für die geschälte Beilsteiner Loheichenrinde gewesen.

Diese Aufnahme kann ziemlich genau datiert werden auf den Zeitraum 1908-1910.

Der Fotograf befand sich im Silberberg und konnte dadurch den kompletten Ort auf seine Fotoglasplatte bannen.

Auch dieses Foto entstand kurz vor 1910

Eine über hundertjährige Ansichtskarte, geschrieben in Beilstein am Donnerstag 1. September 1910

 

Die Tierhäute wurden dann in 2 bis 3 Meter tiefe Becken verbracht.

Je eine Schicht Häute, eine Schicht gemahlene Eichenrinde, eine Schicht Häute und so fort.

 

Schlussendlich wurde das Becken mit Wasser aufgefüllt. Die gerbsäurehaltige Brühe baute die eiweißhaltigen Bestandteile der Häute ab.

Nach etwa 14 Monaten im Becken entstand aus den Tierhäuten haltbares Leder.

Der übriggebliebene „Lohkuchen“ wurde getrocknet und fand vielfache Verwendung bsw. als Brandmaterial, aber auch in der Herstellung medizinischer Produkte gegen z.B. Hautkrankheiten.

 

Mit dem industriellen Aufschwung in Preußen und dem Ausbau der Bahnlinien an der Mosel entstand im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine rege Nachfrage nach Lederprodukten.

So war die preußische Armee, nach 1871 die kaiserliche deutsche Armee eine der Hauptabnehmer von Leder.

Die Hochzeit der Loheproduktion als bedeutender Anteil des Wirtschaftslebens an der Mosel um 1870 (mit den höchsten Preisen) fand aber schon wenige Jahre später ihren Niedergang.

Ab 1875 deckten sich die Gerbereien mit besserem und insbesondere billigerem Gerbstoff, hergestellt aus amerikanischen Tannen, ein.

Als dann noch um 1900 die chemische Industrie synthetische Gerbsäuren in großen Mengen in der Lage war zu produzieren, verlor die Produktion von Lohe an der Mosel rasch ihre Bedeutung.

Ein kurzes Zwischenhoch gab es in den beiden Weltkriegen, als Deutschland von Importen weitgehend abgeschnitten war. Nach 1945 verlor die Produktion von Lohe in unserer Gegend endgültig ihre vormalige Bedeutung.

Allenfalls verweisen in den Moselorten noch Gemarkungen, wie „an der Loheiche“, „an der Lohhecke“, oder „Lohmühle“ auf die lange vergangene Geschichte. In Cochem deutet das „Hotel Lohspeicher“ auf die Existenz eines Trockenraumes/ Lohspeichers aus dem Jahre 1839 hin.

 

In den Beilstein umgebenden Wäldern braucht der aufmerksame Betrachter auch heute nicht lange zu suchen.

Rasch wird man auf uralte Eichenbäume stoßen, die durch ihr äußerst ungewöhnliches Krüppelwachstum auf ein- oder mehrmaliges Beschneiden des Hauptstammes in alter Zeit verweisen.

Auch nach hundert und mehr Jahren ist den Eichen das deutlich anzusehen.

Die beiden Aufnahmen stammen vom Februar 2022. Standort ist das Bachtal des Vorderbaches (Strimmiger Bach), etwa 250 Meter südlich vom Ortsausgangsschild gelegen.

Teilausschnitt entnommen aus: Kartenaufnahme der Rheinlande durch Tranchot und von Müffling 1803-1820, Blatt Nummer 171 Beilstein

Von Rittern und edlen Jungfrauen – der Beilsteiner Ritterturnierplatz

Katasterplan von 1834

Einer der spannensten „Entdeckungen“ der Beilsteiner Stadtgeschichte ist der ehemalige Ritterturnierplatz, östlich unterhalb des Schloßberges gelegen. Zu seiner wahrscheinlichen Bauzeit im Spätmittelalter lag das Arenal mit seinen beträchtlichen Ausmaßen außerhalb der Stadtmauer. Das Turnier ist wohl im 11. Jahrhundert in Frankreich entstanden. Der französische Begriff tournoi wurde im Deutschen zu turnier. Ursprünglich bedeutete Turnier ein Reitergefecht zweier Gruppen in voller Rüstung und scharfen Waffen. Die Bezeichnung wird später auch für den Tjost, den ritterlichen Zweikampf übernommen. Im Spätmittelalter bilden sich strenge Regeln heraus, die über die Turnierfähigkeit der Teilnehmer entschieden. Der Turnierherold entschied über die Turnierfähigkeit. Sogenannte Grieswärtel sorgten mit hölzernen Lanzen auf den Turnierplätzen für Ordnung. Das Entstehen der Ritterturniere ist zum einen zu erklären mit dem Bedeutungsgewinn bewaffneter und gepanzerter Ritter zu Pferde. Diese neue Militärformation war eine direkte Antwort auf die militärischen Erfahrungen, die christiche Heere bei den Kreuzzügen machen mußten. Die Turniere als anfängliches Einüben von Fertigkeiten bekamen zunehmend einen sozialen Charakter, der in der sich neu herausbildenden Schicht der Ritter auch über Rang und Prestige bestimmte. Mit der Entwicklung von Entfernungswaffen (Kanonen und Handfeuerwaffen) wurden die unbeweglichen Ritter zu Pferde mit ihren nur im Nahkampf einsetzbaren Waffen militärisch unbedeutend. Auch die Turniere litten unter diesem Bedeutungsverlust. Sie verlagerten sich zunehmend in die Städte, wurden zu Schauveranstaltungen, an denen sich zunehmend reiche Bürger und Handelsherren beteiligten. Zahlreiche Begriffe und Sprichworte im Deutschen lassen sich auf das mittelalterliche Turnierwesen zurückführen. So z.B.: „Für jemanden eine Lanze brechen“, „Jemanden in die Schranken verweisen“, „Auf dem hohen Roß sitzen“, „Etwas von der Pieke auf lernen“. Die Quellenlage zur Geschichte des Beilsteiner Turnierplatzes gibt uns keine Auskunft zum Baujahr und der nachfolgenden Nutzung. So will ich ein paar Hypothesen aufstellen, die ich für recht wahrscheinlich halte: Das erste wichtige Herrschergeschlecht auf Beilstein – Die Herren von Braunshorn (urkundliche Erwähnung ab 1268) – gingen ab 1309 daran Burg und Stadt auszubauen. Dabei war Johann II von Braunshorn sein gutes Verhältnis zur Grafschaft Luxemburg ab 1299 von großem Nutzen. Im November 1308 wurde Heinrich Graf von Luxemburg zum Deutschen König Heinrich VII gewählt. Der Beilsteiner Johann II von Braunshorn wird 1309 und 1310 öfter als Hofmeister des Königs erwähnt, er muß also eine nahe Vertauensperson von König Heinrich VII gewesen sein. Der Dank des Königs manifestierte sich u.a. in der Verleihung der Beilsteiner Stadtrechte 1310, der Erlaubnis eine Stadtmauer zu errichten und zahlreichen anderen Privilegien. Hingegen nahmen Johann II und sein Sohn Gerlach als Gefolgsleute am Italienzug des Königs teil. Von 1310 -1313 hielt sich König Heinrich VII mit seinem Heer in Oberitalien auf, um dort seine Machtansprüche zu manifestieren. Schließlich wurde er am 29.6.1312 in Rom von abgesandten Kardinälen des in Avignon residierenden Papstes Clemens V zum Kaiser gekrönt.

Die teilweise monatelangen Belagerungen italienischer Städte ließ Heinrichs Gefolge „viel Zeit für Speerspiele, Tänze und Feste in Pisa“ aber auch an anderen Orten. Diese Abbildung stammt aus einem Bilderzyklus, der die Romfahrt Heinrich VII beschreibt.

Ein weiteres Bild aus diesem Zyklus bildet den Ritter Braunshorn bei der Einnahme der Stadt Brescia ab, erkennbar an seiner Fahne mit dem Braunshornwappen.(Ganz links: 3 Hörner auf rotem Grund)

Johann II und sein Sohn Gerlach haben möglicherweise eine Vorliebe fürs ritterliche Turnier mitgebracht, als sie im Frühjahr 1313 von Italien nach Beilstein zurückkehrten. Den Bau des Beilsteiner Turnierplatzes zu dieser Zeit halte ich für sehr wahrscheinlich. Der abgebildete Katasterplan von 1834 verdeutlicht die Außmaße des Areals. (Längsseite: 127 Meter, Querseite: 40 Meter, also insgesamt mehr als 5000 Quadratmeter). Im Süden und Norden wird der Platz von Quermauern eingefaßt, die heute noch nahezu komplett erhalten sind. (Die südliche auf dem Gelände des neuen Friedhofs, die nördliche reicht vom Gärtchen des Schulgebäudes von 1932 bis zum Neubau Jobelius. Die Längsseite nach Osten war terassenförmig gestaltet. Auf zwei gemauerten Terassenebenen hatten Zuschauer genügend Platz. Eine solchermaßen stabile, weil gemauerte Zuschauertribüne bot sich wegen der Hanglage geradezu an. (Fragmente dieser Terassenebenen haben sich bis heute erhalten). Erfahrungen mit hölzernen Tribünen machte 1315 die Hochzeitsgesellschaft von Friedrich dem Schönen, dem Deutschen König und Nachfolger Heinrich VII, der seinen Italienzug – dumm gelaufen – wegen Malaria leider nicht lebend beenden konnte. Bei diesem besagten Turnier stürtzte die Zuschauertribüne ein, viele Damen wurden verletzt und im allgemeinen Tumult ihres Geschmeides beraubt. Die westliche Längsseite hatte wohl aufgrund der topographischen Gegebenheiten keine Terassentribüne. Das ganze Areal war in den darauffolgenden Jahrhunderten im Besitz der jeweiligen Herrschaft auf Beilstein (1362/63 bis 1636 von Winneburg-Beilstein; 1636 bis 1794 von Metternich). Wann das Gelände sein letztes Turnier gesehen hat, kann man nicht sagen. Mit der Versteigerung des fürstgräflichen Besitzes durch die Franzosen ab 1794 kam der Platz an einen Privateigentümer. Um 1880 gelangte das Areal in die Hände des recht wohlhabenden Geheimen Oberbaurates Höffgen, der hier eine Obstwiese anlegte. Alljährlich veranstaltete das Ehepaar Höffgen hier für alle Beilsteiner Kinder ein großes Kinderfest. Die Erben von Carl Höffgen gaben ab 1915 dem Obstgarten seinen umgangssprachlichen Namen: „Eckertz-Bungert“. Johanna Eckertz schenkte in den 1960er Jahren der Gemeinde Beilstein ihr Grundstück für einen neuen Friedhof. Die neue Umgehungsstraße teilte 1975 „Eckertz-Bungert“ in zwei Teile. Der süd-östliche Teil wurde zum Friedhof, der nord-westliche Teil mit zwei Häusern bebaut. Mit dieser baulichen Veränderung verlor die sehr auffällige Umfassung des Areals ihren jahrhunderte alten Charakter. Nur dem sehr aufmerksamen Betrachter erschließt sich nunmehr (vielleicht ein wenig durch meine Hilfe) die ursprüngliche Bedeutung.

Südöstlicher Teil von Eckertz-Bungert hier am Bildrand rechts zu erkennen (Foto etwa 1965)