Von der 600jährigen Geschichte der Beilsteiner Judengemeinde
Was den wenigsten Beilstein-Besuchern bewußt ist, das Städtchen besitzt eine ehemalige Synagoge in der Weingasse 13, die im Kern wohl aus dem beginnenden 14. Jahrhundert stammt und auf etwa 600 Jahre jüdisches Leben in Beilstein verweist.
Johann von Braunshorn – Herr zu Beilstein – erhielt 1309 vom deutschen Kaiser Heinrich VII das Recht 10 jüdische Familien in sein gerade gegründetes Städtchen Beilstein anzusiedeln.
Diese 10 jüdischen Familien flüchteten aus dem Oberweseler Raum, wo sie ihres Lebens nicht mehr sicher waren. (1287 wurde dort der 16 jährige Weinbergsarbeiterjunge Werner ermordet.
Den Mord dichtete man den örtlichen Juden als Ritualmord an und es kam in der Folgezeit zu schlimmen Verfolgungen und Pogromen durch haßerfüllte christliche Eiferer.
Die Volksfrömmigkeit machte ihn zum Märtyrer und alsbald wurde er als „Heiliger Werner von Oberwesel / Bacharach“ verehrt und somit eine antisemitische Legende gesponnen, die leider erst 1963 durch das Streichen des „Werner-Kultes“ im Kalender der Diözese Trier ein offizielles Ende fand.
Doch noch immer findet sich in vielen deutschen Heiligenverzeichnissen der
„Heilige Werner von Oberwesel„.
Es bildet den Marktplatz und das Zehnthaus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ab. Erst als ich die Aufnahme und die abgebildeten Personen stark vergrößerte, entdeckte ich die Besonderheit in der Kleidung des kleinen Jungen, der dort auf dem Karren hockt.
Es handelt sich offensichtlich um einen Jungen, der einen Kaftan und einen Strejml oder Kolpik trägt. Ein Kolpik ist eine traditionell von besonders frommen, zumeist osteuropäischen, chassidischen Juden getragene Kopfbedeckung. Sie wird von Jungen bzw. unverheirateten Männer am Shabbat getragen.
Eine derartige Kopfbedeckung war zum Ende des 19. Jahrhunderts in den jüdischen Landgemeinden des Moselraumes absolut unüblich. Zwei Erklärungsmöglichkeiten bieten sich hier an. In den Jahren 1863 bis 1867 hat die jüdische Gemeinde zu Beilstein für den Schulbetrieb wohl recht verzweifelt einen jüdischen Lehrer gesucht.

Allgemeine Zeitung des Judenthums 11.8.1863

Allgemeine Zeitung des Judenthums 2.8.1864

Allgemeine Zeitung des Judenthums 2.7.1867
Ein zeitgenössisches und stark antisemitisch gehaltenes Gedicht des damaligen Beilsteiner Pfarrers von Freihold zeigt auf, daß Beilsteiner jüdischen Glaubens auch nach fast 600 Jahren in Beilstein immer noch von vielen Zeitgenossen als „schlimmer Fremdkörper“ und als zutiefst unerwünscht im Dorf betrachtet wurden. 1895 leben noch 39 Juden, 1925 nur noch 7 Juden hier im Ort. Es war somit kein Minjan mehr vorhanden. ( Mindestanzahl von zehn erwachsenen Männern als Beter um einen jüdischen Gemeindegottesdienst feiern zu können).
Die zwei angebotenen Schauforim sind Widderhörner, die als Blasinstrument zum jüdischen Neujahrsfest geblasen werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte wohl schon einige Jahre in der Beilsteiner Synagoge kein eigener Gottesdienst mehr stattgefunden und der Vorstand der israelitischen Gemeinde (vertreten durch Karl Koppel, den ich im Folgenden noch näher vorstellen werde) versuchte Gegenstände zu verkaufen, die ohne das Abhalten von regelmäßigen jüdischen Gottesdiensten keinen Sinn mehr machten.

Ner Tamid = Ewiges Licht. Hängt in jeder Synagoge vor dem Tora Schrein und steht symbolisch für die Allgegenwart Gottes. Standort seit 1925:
Im Rittersaal des Hotel Haus Lipmann/ Beilstein

Messingkanne, Nürnberger Arbeit des 16./17. Jahrhunderts.
Wurde 1925 von Sigmund Lipmann veräußert an das Rheinische Museum. Standort seit 1956:
Kölnisches Stadtmuseum
1925 wurde die Synagoge verkauft, später auch das rechts angrenzende Wohnhaus des Rabbiners. Der Käufer zog in Höhe der Frauenempore eine Zwischendecke ein (als Heuboden), unterhalb diente das Gebäude als Lager- und Kelterraum.. Im Gewölbekeller wurde Vieh gehalten. Diese recht unschöne Form der Profanierung schützte das Gebäude jedoch in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 vor einer Zerstörung durch die Nazis.
Die Terrasse wird im Eckbereich von einem Betonpfeiler abgestützt.
Dahinter wurde als zusätzliche Stütze die gußeiserne Säule aus der Synagoge eingebaut.
Interessanterweise wurde sie bei der Neuerrichtung des Gebäudes 2014 an der gleichen Stelle als Spolie wiederverwendet. (Auf einem Sockel stehend um 30 cm erhöht).
Was diese Aufnahme von 1928/30 so interessant macht, sind die abgebildeten Personen.
Neben dem Winzer Ernst Kochems, der hier seinen Karren mit Runkelrübenblättern für sein Vieh beladen hatte und etlichen Kindern, erkennt man als fünfte Person von links die Tochter des jüdischen Ehepaares Koppel, Gertrude Koppel (geb. 1.2.1916).
Sie ist schließlich im Jahre 1937 zu ihrem Onkel Julius Koppel, der schon einige Jahre zuvor von Beilstein in die USA emigrierte gezogen.

Gertrude Koppel unterhalb der Beilsteiner Burg, Aufnahme etwa 1935 kurz vor ihrer Emigration in die USA
1937 war die Hetze, Erniedrigung und Verfolgung der jüdischen Bürger in Deutschland bereits so weit fortgeschritten, dass sich die Flucht nach Amerika als sehr hellsichtig erweisen sollte.
Gertrude Koppel entging hierdurch dem Massenmord an den Juden, den der deutsche Faschismus wenige Jahre später planmäßig und industriell durchführte.
Sie ist schließlich nach einem langen und erfüllten Leben 2019 im Alter von 103 Jahren in ihrer neuen Heimat Amerika gestorben.
Ihre Eltern hingegen – Theresia und Karl Koppel konnten sich nicht vorstellen Beilstein und Deutschland zu verlassen.
Auch dass man ihnen einmal ihren Lebensmittel- und Kolonialwarenladen auf dem Beilsteiner Marktplatz zwangsweise abnehmen würde (so geschehen nur ein Jahr später im Jahre 1938) lag wohl außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Eine Aufnahme dieses Lädchens (linkes Haus im Hintergrund, unteres Fenster und Eingangstüre) fand ich im Rühmann- Film „Wenn wir alle Engel wären“, der 1936 in Beilstein gedreht wurde.
Koppels Laden aus anderer Richtung gesehen.
Der Text auf dem Ladenschild lautet:
Kolonialwaren Wurst Rauchwaren Karl Koppel.

Diesen Blick hatten Karl Koppel und seine Kunden, traten sie aus der Ladentüre heraus und wendeten sich nach links Richtung Alte Wehrstraße (hinter den beiden Torbögen) Durch die aüßere schräge Kellerluke gelangte man in den Vorratskeller. .
Theresia Koppel, Sohn Hugo Koppel, Tochter Gertrude Koppel,
Karl Koppel (Aufnahme ca. 1920-22)
Wenige Monate später, im Frühjahr 1939 zogen sie mit der Schwester Mathilde Koppel, geb. 9.9.1874 nach Köln in die Straße Karthäuserhof 38 III. Ihr Beilsteiner Haus hätten sie bestimmt gerne zu einem guten und reellen Preis verkauft. Spätestens seit dem Pogrom war es Juden in Deutschland allerdings nicht mehr möglich ihre Unternehmen, Häuser und Grundstücke auf dem freien Markt zu veräußern. Diese Verkäufe wurden von staatlicher Seite reglementiert und in der Regel zu Ungunsten der jüdischen Verkäufer organisiert. So mancher „arische Volksgenosse“ hat sich in jener Zeit mit „Schnäppchenkäufen“ gesund gestoßen.

Anfang der 1950er hatten die neuen Besitzer fast nichts am Laden verändert. Selbst Karl Koppels Metalleinfassung für das Werbeschild wurde übernommen.
Wohnhaus der Familie Koppel in der Alten Wehrstraße, aufgenommen im Sommer 1938.
(Gebäude am rechten Bildrand)
…und einige Wochen später im Herbst 1938. Die winzige Terrasse ist mit Küchenkräutern, Gurken, Tomaten etc. bepflanzt. Ein Teppich hängt zum Ausklopfen über der Brüstung.
Zu diesem Zeitpunkt trat das Landratsamt Cochem wohl schon juristisch als Zwangsverkäufer des Koppel`schen Besitzes auf. Ich dokumentiere den Brief vom 27.6.1939 im Folgenden in Gänze. Zur Erleichterung meiner Leser habe ich den Originalbrief in eine lesbare Form transkribiert ( durch Anklicken lesbar). Schreibfehler und mißverständliche Formulierungen habe ich nicht verändert.
Der Brief zeigt auf, dass es auch im Jahr 1939 in Beilstein noch Menschen gab ( hier Hermann Jobelius und seine Familie), die ihrem langjährigen jüdischen Nachbarn noch wohl gesonnen waren. Das Dokument zeigt aber auch mit wieviel Herzblut Karl Koppel noch an seiner alten Moselheimat Beilstein, seinem Haus, der 39er Weinlese und seinem Garten hing. Die Koppels besaßen auf der anderen Moselseite in Ellenz-Poltersdorf, wie viele andere Beilsteiner gleichermaßen einen Obst- und Gemüsegarten. Neben dem Eigenverzehr bauten sie hier insbesondere Früchte und Gemüse für ihren Lebensmittelladen an. Das folgende Foto (Aufnahme zwischen 1933-38, vierte Person von links) bildet Thersia Koppel, die Ehefrau von Karl Koppel ab. Sie setzt offensichtlich nach getaner Gartenarbeit mit der Fähre über auf die Beilsteiner Seite. Auf dem Rücken trägt sie eine geflochtene Hotte, lange Zeit das übliche Transportgerät an der Mosel für Obst und Gemüse.
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Theresia Koppel geboren am 4.Jan. 1881 in Pünderich/Mosel, ermordet am (21.)? Sep. 1942 im deutschen Konzentrationslager Treblinka |
Nachtrag:
Karl Koppels Sohn aus erster Ehe, Hugo Koppel (1903-82) hat die Shoa (Holocaust) überlebt, weil er 1939 gemeinsam mit seiner Ehefrau zunächst nach Bolivien, später in die USA ausgewandert ist. Im Brief erwähnt sein Vater Karl Koppel, dass man sich in Köln noch einmal gesehen hat und Abschied voneinander nehmen musste. Sein Sohn Rene, 1944 in LaPaz/ Bolivien geboren hat vor einigen Jahren die Familie Jobelius in Beilstein besucht. Auch die Tochter von Gertrude, Ruth Schutzbank besuchte Beilstein öfter in den 1960er und 1980er Jahren.
Literaturempfehlung:
• A. Gottwald und D. Schulle, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, Wiesbaden 2005
• Angelika Schleindl, Spuren der Vergangenheit. Jüdisches Leben im Landkreis Cochem-Zell, Briedel 1996 mosella-judaica.de
• www.bundesarchiv.de
• Holocaust Gedenkstätte yad vashem
• NS- Dokumentationszentrum der Stadt Köln – Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nach Namen
• www.bayerisches-nationalmuseum.de
Von steilen Dächern und langen Treppen

Blick vom Kloster hinab auf Beilsteiner Dächer. (Foto etwa 1900)
Dieses seltene Foto zeigt einen Dachdecker bei der Neubeschieferung des Daches „Haus kein Moselblick“ in der Bachstraße 50.
Vor 100 Jahren war Kinderarbeit auch bei solch gefährlichen Tätigkeiten nicht selten. Sicherheitsvorkehrungen und moderne Gerüste konnte sich kaum jemand leisten, dementsprechend gefährlich war der Beruf des Dachdeckers. (Foto etwa 1915)
Von schwerem Leben und frühem Sterben
Dieses Familienfoto auf der Außentreppe entstand um 1910 – zeigt also die zweite oder dritte Generation im Hause.
Kinderreichtum war vor 100 Jahren keine Seltenheit, sondern eher Ausdruck von Armut und dem Versuch die Familie mit möglichst vielen eigenen Arbeitskräften am Leben zu halten.
Von Rittern und edlen Jungfrauen – der Beilsteiner Ritterturnierplatz
Katasterplan von 1834
Einer der spannensten „Entdeckungen“ der Beilsteiner Stadtgeschichte ist der ehemalige Ritterturnierplatz, östlich unterhalb des Schloßberges gelegen. Zu seiner wahrscheinlichen Bauzeit im Spätmittelalter lag das Arenal mit seinen beträchtlichen Ausmaßen außerhalb der Stadtmauer. Das Turnier ist wohl im 11. Jahrhundert in Frankreich entstanden. Der französische Begriff tournoi wurde im Deutschen zu turnier. Ursprünglich bedeutete Turnier ein Reitergefecht zweier Gruppen in voller Rüstung und scharfen Waffen. Die Bezeichnung wird später auch für den Tjost, den ritterlichen Zweikampf übernommen. Im Spätmittelalter bilden sich strenge Regeln heraus, die über die Turnierfähigkeit der Teilnehmer entschieden. Der Turnierherold entschied über die Turnierfähigkeit. Sogenannte Grieswärtel sorgten mit hölzernen Lanzen auf den Turnierplätzen für Ordnung. Das Entstehen der Ritterturniere ist zum einen zu erklären mit dem Bedeutungsgewinn bewaffneter und gepanzerter Ritter zu Pferde. Diese neue Militärformation war eine direkte Antwort auf die militärischen Erfahrungen, die christiche Heere bei den Kreuzzügen machen mußten. Die Turniere als anfängliches Einüben von Fertigkeiten bekamen zunehmend einen sozialen Charakter, der in der sich neu herausbildenden Schicht der Ritter auch über Rang und Prestige bestimmte. Mit der Entwicklung von Entfernungswaffen (Kanonen und Handfeuerwaffen) wurden die unbeweglichen Ritter zu Pferde mit ihren nur im Nahkampf einsetzbaren Waffen militärisch unbedeutend. Auch die Turniere litten unter diesem Bedeutungsverlust. Sie verlagerten sich zunehmend in die Städte, wurden zu Schauveranstaltungen, an denen sich zunehmend reiche Bürger und Handelsherren beteiligten. Zahlreiche Begriffe und Sprichworte im Deutschen lassen sich auf das mittelalterliche Turnierwesen zurückführen. So z.B.: „Für jemanden eine Lanze brechen“, „Jemanden in die Schranken verweisen“, „Auf dem hohen Roß sitzen“, „Etwas von der Pieke auf lernen“. Die Quellenlage zur Geschichte des Beilsteiner Turnierplatzes gibt uns keine Auskunft zum Baujahr und der nachfolgenden Nutzung. So will ich ein paar Hypothesen aufstellen, die ich für recht wahrscheinlich halte: Das erste wichtige Herrschergeschlecht auf Beilstein – Die Herren von Braunshorn (urkundliche Erwähnung ab 1268) – gingen ab 1309 daran Burg und Stadt auszubauen. Dabei war Johann II von Braunshorn sein gutes Verhältnis zur Grafschaft Luxemburg ab 1299 von großem Nutzen. Im November 1308 wurde Heinrich Graf von Luxemburg zum Deutschen König Heinrich VII gewählt. Der Beilsteiner Johann II von Braunshorn wird 1309 und 1310 öfter als Hofmeister des Königs erwähnt, er muß also eine nahe Vertauensperson von König Heinrich VII gewesen sein. Der Dank des Königs manifestierte sich u.a. in der Verleihung der Beilsteiner Stadtrechte 1310, der Erlaubnis eine Stadtmauer zu errichten und zahlreichen anderen Privilegien. Hingegen nahmen Johann II und sein Sohn Gerlach als Gefolgsleute am Italienzug des Königs teil. Von 1310 -1313 hielt sich König Heinrich VII mit seinem Heer in Oberitalien auf, um dort seine Machtansprüche zu manifestieren. Schließlich wurde er am 29.6.1312 in Rom von abgesandten Kardinälen des in Avignon residierenden Papstes Clemens V zum Kaiser gekrönt.
Die teilweise monatelangen Belagerungen italienischer Städte ließ Heinrichs Gefolge „viel Zeit für Speerspiele, Tänze und Feste in Pisa“ aber auch an anderen Orten. Diese Abbildung stammt aus einem Bilderzyklus, der die Romfahrt Heinrich VII beschreibt. Ein weiteres Bild aus diesem Zyklus bildet den Ritter Braunshorn bei der Einnahme der Stadt Brescia ab, erkennbar an seiner Fahne mit dem Braunshornwappen.(Ganz links: 3 Hörner auf rotem Grund)

Südöstlicher Teil von Eckertz-Bungert hier am Bildrand rechts zu erkennen (Foto etwa 1965)