Mit 1000 Bildern durch 700 Jahre Beilsteiner Geschichte 7

Von kopflosen Räubern und merkwürdigen Bestattungsformen

In diesem östlich und unterhalb der Burgruine gelegenen Weinberg stieß der Beilsteiner Winzer Johann Wagner bei Weinbergsarbeiten im Jahre 1873 auf einen grausigen Fund. Neben dem Weg, der sich östlich der Burg zu jener Zeit hinunter zu dem damals noch existierenden Mühlteich schlengelte, fand er in vier Fuß Tiefe ein Skelett – der abgetrennte Kopf zwischen den Füßen ruhend. Diese – selbst für Beilsteiner Verhältnisse – eher unübliche Bestattungsmethode, darüber hinaus auch außerhalb eines Friedhofes gelegen, ließ den Fund schnell als die Gebeine des 109 Jahre zuvor in Beilstein abgeurteilten und hernach enthaupteten Räuberhauptmannes Johann Dörfer erkennen. Dörfer war in unserer Gegend neben dem bekannteren Räuberhauptmann Schinderhannes ein Bandit, der in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts sein Unwesen trieb.

Die zersplitterten Herrschafts – und Rechtsverhältnisse, die bis 1794 oftmals an Mosel und im Hunsrück herrschten, machten es Räuberbanden leicht sich hier dem Zugriff der Obrigkeit zu entziehen. Die Häscher des Blankenrather Gerichts (welches damals der Beilsteiner Herrschaft unterstand) „überredeten“ Dörfers Geliebte ihm ein Schlafmittel zu verabreichen. Somit wurde der Räuber nach Beilstein in den Gefängnisturm überstellt und 1764 in Beilstein mit dem Schwert enthauptet. Hinrichtungsstätte war etwa dort, wo sich heute der Schiffsanlegeplatz befindet. Johann Wagner pflanzte übrigens 1873 seinem unerwarteten Leichenfund kurzerhand einen neuen Weinstock auf die Brust und konnte sich bereits im Jahre 1877 über herzhafte Trauben freuen. Seit dieser Zeit nennen die Beilsteiner diesen Weinberg „Im Dörfer“.

Weinberg „Im Dörfer“, östlich und unterhalb der Burg gelegen

Literaturempfehlungen:
Schurke oder Held? Historische Räuber und Räuberbanden, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 1995
Henker, Schinder & Ganoven – Unbekannte Kriminalfälle aus der Eifel des 18. Jahrhunderts, Bürger Udo, Aachen 1997
Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft, Hergemöller B.U. (Hrsg.), Warendorf 2001
Arme, Bettler, Beutelschneider – Eine Sozialgeschichte der Armut, Jütte Robert, Weimar 2000

Das Alte Zollhaus und seine Nachbargebäude

Blick von süd-westlicher Richtung auf das ehemalige Zollhaus aus dem 17. Jahrhundert. Im Hintergrund:

Die drei Häuser stehen auf den Fundamenten der Westseite der mittelalterlichen Stadtmauer.

Haus ganz rechts ist heute das Wirtshaus „Alte Stadtmauer“.

Foto etwa 1890)

Rund zwanzig Jahre später fand sich genau an dieser Stelle vor dem Zollhaus für dieses Foto ein Großteil der männlichen Bevölkerung Beilsteins und etliche Kinder zusammen. Keine einzige Frau ist auf dem Bild zu sehen. Waren sie es etwa nicht wert abgelichtet zu werden? Möglicherweise waren diese aber auch mit den Vorbereitungen des sonntäglichen Essens beschäftigt und wurden deswegen „übergangen“. Das Foto dürfte an einem Sonn- oder Feiertag entstanden sein. Bei der Kleidung der Abgebildeten handelt es sich offensichtlich um die „bessere Sonntagskleidung“. Die Person ganz links, mit Mütze und Pfeife war der damalige Beilsteiner Fährmann Matthias Ostermann ( 1853 -1935). Das kann man mit Bestimmtheit sagen, weil man ihn auch auf dem nachkolorierten Foto der neuen Fähre aus dem Jahre 1908 erkennen kann (hier auf Seite 8, weiter unten zu finden).

In etwa zum gleichen Zeitpunkt entstand diese Farbaufnahme vom Zollhaus und seinen Nachbargebäuden. Im Jahre 1903 erfand Adolf Miethe (1862-1927) ein Verfahren zur Herstellung einfacher Farbaufnahmen. Seine Dreifarbenfotografie nach der Natur konnte durch Verwendung dreier Farbfilter unbewegliche Objekte in Farbe darstellen. Das aufwändige und unnatürliche Nachkollorieren von schwarz-weiß-Fotos zur Simmulation von Mehrfarbigkeit in der Fotografie verlor somit an Bedeutung.

Ich bin im Besitz einer am 20.4.1906 abgestempelten Ansichtskarte mit dem identischen Bildmotiv. Die Erstellung dieses Miethe-Farbfotos kann somit recht exakt eingegrenzt werden auf den Zeitraum zwischen frühestens1903 und nicht später als das Frühjahr 1906.

Gut zwanzig Jahre später (Mitte der 1930er Jahre) steht hier vor dem Zollhaus ein einachsiger Karren – Jahrhunderte lang das wichtigste Transportgerät der Moselaner. In zwei Fenstern hängen Hemden zum Auslüften. Gewaschen wurde die Kleidung vor knapp hundert Jahren sehr viel seltener als wir es heute kennen. Einfaches Lüften musste hier mitunter Wochen lang genügen. Von den vier Häusern rechts des Zollhauses wurden die beiden hinteren schon über den Baugrund der ehemaligen Stadtmauer moselseitig verlängert. Die beiden vorderen Gebäude standen hinter der Stadtmauer. Die vorgelagerten Anbauten bzw. Terrassen nutzten an dieser Stelle den Baugrund der niedergelegten westlichen Stadtmauer. Das hellverputzte Gebäude besitzt eine abgemauerte Mistkaule. Hierin entleerte man Mist, Gülle, Essensreste etc. Bis in die 1950er Jahre besaß nahezu jedes Beilsteiner Anwesen solche Mistkaulen.

 

Nocheinmal zwanzig Jahre später zeigt sich das Gebäudeensemble an der Mosel im Jahre 1954 in dieser Art.

Das Zollhaus besitzt zwischenzeitlich giebelseitig eine Toreinfahrt. Das hellverputze Haus, rechts vom Zollhaus gelegen ist von besonderem Interesse.

Es handelt sich um einen Neubau, der sich wesentlich vom Vorgängerbau (dargestellt auf den beiden Fotos aus den 1910er und 1930er Jahren) unterscheidet und erst kurz nach dem 2. Weltkrieg hier errichtet wurde.

 

Im Sommer 1949 wurde das Vorgängergebäude in Handarbeit abgetragen.

Das folgende Foto bildet hier während der Abrissarbeiten nur noch Reste der Fensterfront ab.

Im hinteren Teil des Hauses stand zu diesem Zeitpunkt noch ein dreistöckiger Fachwerkteil.

Erst fünf Jahre später war das neue Gebäude im Rohbau nahezu fertig gestellt.

 

 

Diese Abbildung gibt den Zustand im Juni 1954 wieder.

Die Fenster sind noch nicht eingesetzt, die Giebelwand im Dachstuhl ist noch unvollständig. Zwei Zimmerleute auf dem Dachstuhl sind mit dem Setzten der Dachsparren beschäftigt.

Das Untergeschoss bzw. der Kellerbereich wurde offensichtlich vom Vorgängergebäude übernommen. Das wurde in Beilstein bei Hausneubauten immer mal wieder so gemacht.

Hauskeller sind deswegen oftmals viel älter als die Häuser, die auf ihnen stehen.

Dieses Gebäude wiederum wurde 2015 komplett abgerissen und durch einen historisierenden Baukörper ersetzt, der sich in seiner äußeren Erscheinung als Haus des 18. Jahrhunderts gibt. Dieser Erweiterungsbau des Hotels „Alte Stadtmauer“ komplettiert die moselseitige Häuserfront an dieser Stelle kongenial, zeigt aber auch: Nicht alles, was in Beilstein alt ausschaut ist auch wirklich alt!

Ein zweiter Blick lohnt sich allemal.
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Vom offenen Bachlauf zum „Touristenboulevard“ – die Bachstrasse

 

Die meisten Beilstein Besucher erreichten den Ort zunächst über den großen Vorplatz am Moselufer.

Von hier gelangt man direkt auf die Bachstraße, die sich fast bis ans Ende des Dorfes zieht.

Heutzutage ist sie für den Autoverkehr gesperrt. Die Aufnahme entstand um 1925.

Zu diesem Zeitpunkt war eine Begrenzung des Autoverkehrs wirklich noch nicht nötig.

 

Der Lieferverkehr in den Moseldörfern wurde ab den 1920er Jahren, auch wenn sich das zunächst kaum jemand leisten konnte, vom Pferdefuhrwerk auf motorisierte Lastkraftwagen umgestellt.

Hier ein sehr frühes Beispiel für einen LKW, der vor etwa einhundert Jahren gebaut wurde. (Aufnahme etwa 1925)

 

Das war auch rund zehn Jahre darauf noch nicht erforderlich.

Dieses sehr seltene Foto, Mitte der 1930er Jahre am Anfang der Bachstraße entstanden, zeigt zwei private Fahrzeuge mit ihren Insassen.

Es handelte sich um Moseltouristen, die laut Autokennzeichen aus dem Regierungsbezik Düsseldorf stammten.

Die Anreise mit eigenem Fahrzeug war zu jener Zeit ein Privileg, welches sich nur sehr wenige Menschen leisten konnten.

 

Etwa 20 Jahre später entstand diese Fotografie.

Hinter dem parkenden VW Käfer (dem Symbol des westdeutschen „Wirtschaftswunders“) erkennt man einen Holzschuppen bzw. Kiosk am rechten Rand der Bachstraße.

Dieser kleine Kiosk wurde im Mai 1928 vom Beilsteiner Josef Christmann an dieser Stelle gebaut bzw. eröffnet.

Neben Zigaretten und anderen Tabakwaren bot Herr Christmann hier vorallem Schokolade und allerlei Zuckerwaren an. Berücksichtigt man die in den 1920er Jahren noch herrschende Armut im Ort, so verweist das Angebot an Zuckerwaren auf einen beginnenden, zaghaften Tourismus in Beilstein. Der Massentourismus setzte dann tatsächlich nur wenige Jahre später ein. Ab 1935 spülten die KdF-Reisen der Nazis jährlich tausende von Feriengästen in die Moseldörfer, so auch nach Beilstein. Dieser erste Schub des Moseltourismus endete zunächst im September 1939 mit dem Überfall Deutschlands auf Polen und dem damit beginnenden 2. Weltkrieg. Erst Mitte der 1950er Jahre kam es dann wieder zu nennenswerten Besucherzahlen an der Mosel. 

 

Der Tourismus boomt.

Um das Jahr 1960 gönnt sich Kiosbesitzer Christmann den Bau einer neuen hölzernen Verkaufsstätte.

Mittlerweile gilt als Symbol des vermeintlichen „Wirtschaftswunders“ nicht mehr der VW-Käfer sondern ein Ponton-Mercedes.

Nichtzuletzt wegen des zunehmenden Autoverkehrs muss der Kiosk dann doch noch 1964 gänzlich weichen.
(Foto etwa 1960-64)

 

Dieses etwa 1965 entstandene Foto bildet das Straßenareal bereits ohne den Kiosk ab. Wenige Meter weiter wird es nichtsdestotrotz sehr eng.

Das Warnschild an der Mauer des Restaurants Gute Quelle weist auf eine maximale Straßenbreite von 2 Metern hin, was nur kurze Zeit später so manchen Fahrer den Angstschweiß auf die Stirn getrieben haben mag – beträgt diese an der schmalsten Stelle unter dem östlichen Stadttor tatsächlich nur 2,09 Meter.

Zahlreiche Riefen im Mauerwerk und abgefallene Rückspiegel zeugten regelmäßig vom Überschätzen der eigenen Fahrkünste.

Ein großes Mysterium umgibt dieses Foto, besser gesagt die Umstände seiner Erstellung. Der Fotograf muss am Beginn der Bachstraße in einer Kameraposition von etwa 10-12 Metern Höhe sich befunden haben.

Dort steht kein Haus, kein Baum oder Strommast.

Auch gab es Mitte der 1960er Jahre noch keine Dronen mit eingebauter Kamera.

Wie diese Fotografie vor knapp sechzig Jahren entstanden ist, das bleibt ein großes Rätsel.

Ehemaliges Osttor der mittelalterlichen Stadtbefestigung.

Bis in die 1970er Jahre eingeschossige Überbauung (heute dreigeschossig).

Die Bebauung hinter dem Stadttor – die heutige Bachstraße – stammt aus einer Zeit ab Mitte des 17. Jahrhunderts.

Die östliche Stadterweiterung Beilsteins und die damit einhergehende Aufgabe der Stadtmauer in ihrer fortifikatorischen Funktion hatte zwei Ursachen: Zum einen die Großbaustellen Kloster und Klosterkirche (1680er und 1690er Jahre), die nur außerhalb der mittelalterlichen Stadtbefestigung einen geeigneten Bauplatz fanden.

Zum anderen schritt die militärtechnische Entwicklung voran. Es wurden Kanonen entwickelt, denen eine mittelalterliche Stadtmauer nicht standhalten konnte.

Schon die Ereignisse des 30 jährigen Krieges mit der Besetzung spanischer und schwedischer Truppen zeigte den Beilsteinern wie sinnlos ihre Stadtmauer geworden war.

Weitere rund fünfzig Meter die Bachstrasse aufwärts hat man um das Jahr 1920 diese Fotografie aufgenommen.

Im Hintergrund ist eine Gruppe von Schrötern erkennbar, die ein Fuderfass aus einem Weinkeller schrötern ( bedeutet mit Hebelwerkzeugen heraus transportieren).

Heute befindet sich in diesem Keller die Vinothek des Weingues Otto Görgen

Wir schreiten an diesem Weinkeller vorüber und auch in der Zeit etwa 30 Jahre nach vorne.

Zwischen dem Weinkeller der heutigen Vinothek und dem Fachwerkhaus auf der rechten Seite der Straße ( heute Ferienhaus „Haus kein Moselblick“) besteht im Jahre 1954 noch eine Baulücke mit einem kleinen Gärtchen und einem recht hohen Baum darin.

Das dürfte zu dieser Zeit im Beilsteiner Ortskern der einzige Baum gewesen sein.

Aber schon zwei, drei Jahre später wurde diese Baulücke mit einem Neubau geschlossen.

Der Baum mochte der Besitzerfamilie Boos wahrscheinlich einen ganzen Winter lang eine warme Wohnstube bereitet haben.

 

Wir bleiben in den 1950er Jahren, schreiten rund 20 Meter weiter.

Vor dem Hof des historischen Fachwerkhauses aus dem 18. Jahrhundert, dem Gebäude „Haus kein Moselblick“ lagern hier im November 1958 auf der rechten Seite der Bachstraße zwei Fuderfässer, wahrscheinlich frisch gefüllt mit dem `58er Jahrgang.

 

Das Ost-Stadttor diesmal von der anderen Seite – der Ostseite – aus gesehen.

Alle drei Häuser, die auf dem Osttor bzw. auf der Stadtmauer stehen sind heute dem Neubau gewichen.

Die beiden rechten Häuser wurden um die Jahrhundertwende von den Brüdern Jobelius bewohnt.

Der eine Winzer, der andere Küfer.

(Foto um 1900)

 

 

Dieses Aquarellbild eines unbekannten Künstlers zeigt exakt jenen Standpunkt am 27. August 1874. 

In den 1870er Jahren war die Bachstraße noch nicht gepflastert und der Bach lief oberirdisch durch den Ort.

Erst in den 1890er Jahren wurde er unterirdisch in einen Tunnel verlegt.

Küfer ist eine spezielle Variante des Fassbinders:

Fertigung und Reperatur von Weinfässern, Pflege und Unterhaltung der gelegten Fässer und ihres Inhaltes.

Die gleiche Häuserreihe diesmal aus einer anderen Perspektive fotografiert (von der Stadtmauer oberhalb der Schloßstraße).

Die drei hinteren Häuser sind dem Neubau der 1960er Jahre gewichen.

Das vordere Haus besteht nur noch in der Außenfassade zur Schloßstraße hin und in Teilen des Satteldaches.

(Foto um 1930)

Vom exakt gleichen Standpunkt aus entstand rund zwanzig Jahre später (etwa 1950) diese Fotografie.

Lediglich durch einen geringfügigen Rechtsschwenk der Kamera hat dieser Fotograf ein sehr viel interessanteres Motiv auf den Film bannen können.

Unterhalb des Felsmassives, auf dem das Kloster errichtet wurde, haben vermeintlich mehrere Generationen der Küfer Familie Jobelius ihre Werkstatt auf insgesamt fünf Ebenen errichtet.

Die gemauerten Terrassenebenen lassen an einigen Stellen den gewachsenen Schieferfels hervorscheinen.

Nur durch den Bau der Terrassenflächen war man in der Lage auf dem bestehenden Felsen ein Höchstmaß an Bau- und Arbeitsfläche zu errichten.

Diverse Gegenstände verweisen recht eindeutig auf das Küferhandwerk der Jobeliusfamilie.

Zum Handwerk des Küfers/ Bötchers möchte ich an dieser Stelle auf eine sehr schöne und nützliche Recherche Internetseite verweisen:
 http://berufe-dieser-welt.de/die-boettcher/

An ihrem Ende macht die Bachstrasse zwangsläufig einen Rechtsknick. Der Verlauf wird an jener Stelle begrenzt durch ein merkwürdiges, kaum erklärbares Bauwerk. Eine aufgehende Wand aus Schieferbruchsteinen, mittig ein gemauerten Rundbogen, der heute von einer kleinen verzinkten Metalltüre verschlossen ist. Bekrönt wird das Ganze durch eine niedrige, hässlich verputze Mauer und einem abschließend modern verzinkten Eisengeländer.

Was hier vor einigen Jahren in wohl absolutem Unverständnis  über  die Historie des Bauwerkes verunstaltet wurde, ist die ehemalige Brücke über den dort verlaufenden Strimmiger Bach, den sogenannten Vorderbach ( daher der Name Bachstrasse).

Was das Baujahr angeht – kann ich nur eine Vermutung anstellen.

 

 

Mit der Großbaustelle Kirche und Kloster ab 1687 wurde es wichtig, den Bauplatz auch von Osten zu erschließen.

Den Bau der Klosterstrasse in dieser Zeit halte ich für wahrscheinlich und dieser neue Weg mußte den Vorderbach ja überqueren.

Somit würde ich den Bau der Brücke an dieser Stelle mit großer Wahrscheinlichkeit auf die 1680er Jahre datieren.

Der Bach fließt auch heute noch unter der Brücke hindurch. Bei starken Regenfällen ist das Rauschen hinter der eisernen Türe eindeutig zu vernehmen.

Das Foto gibt den Zustand der Brücke kurz vor dem ersten Weltkrieg wieder, zu diesem Zeitpunkt noch ohne jeglichen Straßenbelag d.h. nicht mit Grauwackesteinen gepflastert. (Aufnahme Sommer 1914)

Den Einbau der Metalltüre und das Zumauern des übrigen Rundbogens hat man zu Beginn der 1960er Jahre vorgenommen.

Bis zu diesem Zeitpunkt verlief der Bach über eine Länge von etwa sechs Metern offen hinter einem eisernen Geländer.

Er diente hier als Viehtränke und in den Sommermonaten als eine Art „vormodernes Spaßbad“ für die Beilsteiner Kinder.
(Aufnahme 1914)

 

 

Das Foto (Aufnahme etwa 1920) zeigt am Abschluß des Metallgeländers einige hölzerne Schöpfgefäße. Hier an der untersten Treppenstufe wurde der Bachlauf dann unter das Niveau des Straßenpflasters geführt.

Richtung Mosel fließt der Bach seit den 1880er Jahren unterhalb der Straße in einer unterirdischen Röhre…..

 

Knapp vierzig Jahre später hat man diese Örtlichkeit baulich verändert.

Die Aufnahme aus dem Ende der 1950er Jahren zeigt, dass man vom Niveau der Bachstraße einige Stufen hinunter schreiten musste um ein offenes Wasserbecken des Vorderbaches zu erreichen.

Aus diesem Becken konnte man das ständig zugeleitete frische Bachwasser entnehmen.

…und mündet schließlich in Form eines stabil gemauerten Rundbogens in der Mosel:

Dieses Foto von etwa 1890 zeigt, dass der Bach in der Regel oberhalb des Wasserspiegels in die Mosel eingeleitet wurde.

Die mutigeren Beilsteiner Kinder haben sich immer mal wieder den Spaß gegönnt den unterirdischen Bach von der Brücke aus

(dort gab es bis Anfang der 1960er Jahre einen offenen Einstieg)

bis zum Moselufer hin zu durchlaufen.

Dieses Foto von 1954 zeigt den Zulauf des Vorderbaches bei Moselniedrigwasser.

In diesem Sommer 1954 hat es an dieser Stelle einen Art Strand gegeben. Nach dem Bau der Staustufen, zehn Jahre später, 1964 ist dieser Moselstrand und auch die Zuführung des Vorderbaches in die Mosel permanent unter dem Wasserspiegel verschwunden.

Durch den Bau der Staustufen gibt es heutzutage kein Niedrigwasser mehr und auch recht selten Hochwasserpegel.

Auf der anderen Seite der Brücke nach Osten hin ist der Bach heute ebenfalls überbaut.

 

In diesem Areal, genannt „auf’m Teich“ hat es um 1900 entscheidende bauliche Veränderungen gegeben.

Die unterste Mühle wurde niedergelegt und an dieser Stelle im Jahre 1903 das Gebäude „Burgschenke“ errichtet. 1932 wurde schließlich der Neubau der Beilsteiner Schule samt des vorgelagerten Schulhofes direkt an der Ostseite der Brücke fertig gestellt.

Man hat den Bach also unter das Bodenniveau gelegt. Heute wird er erst wieder sichtbar auf der rechten Seite der L 200 Richtung Hunsrück, kurz vor dem Ortsausgangsschild.

Den Verlauf des seinerzeit noch weitestgehend offen verlaufenden Vorderbaches (hier von mir blau markiert) kann man auf diesem Katasterplan von 1869 recht gut nachvollziehen.

Bewohner vor dem „Haus Burgschenke“ Aufnahme um 1925

Beilsteiner Katasterplan aus dem Jahre 1869

Das folgende Foto wurde um 1900 von der Brücke aus Richtung Mosel aufgenommen

Auf der linken Seite ist ein großes Fachwerkhaus zu sehen.

Am Rande des Hofes eine niedrige Mauer zur Strasse hin.

Auch dieses Haus besaß, wie nahezu alle Häuser im Ort eine abgemauerte Grube bzw. Mistkaule, wo der Mist der Nutztiere, Essensreste, Fäkalien u.a. abgelagert wurde.

Bei der Aufnahme dieses Fotos,

rund 20 Jahre später,

stand der Fotograf nun unterhalb der Brücke – genau zwischen meinen beiden Häusern „Haus kein Moselblick“ und „Altes Spukhaus“ auf der oberen Bachstrasse.

Ein Blick von der oberen Bachstraße in Richtung Marktplatz. Das Bild läßt erahnen, wie hart und kärglich die Lebensbedingungen an der Mosel vor rund 130 Jahren waren. (Foto etwa 1890)

 

Für viele Künstler waren diese kärglichen sozialen Bedingungen auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts willkommene, pitureske Motive für ihre Bilder, Zeichnungen und Radierungen.

Der Cochemer Künstler Josef Steib (1898-1957) fertigte 1927 eine grafische Darstellung des Gebäudes an. Seine Radierung erinnert im Stil ein wenig an das Oevre Heinrich Zilles.

Inhaltlich lässt Steib jedoch die bissige Sozialkritik von Zille in seinen Bildern vermissen, als späteres SA- und NSDAP-Mitglied ein kaum verwunderliches Merkmal seiner Werke.

Die untere Bachstraße vor dem überbauten Osttor: 
Das Gebäude links wurde im 19. Jahrhundert von einer Beilsteiner Familie Hirsch bewohnt. (Besitzer 1832: David Hirsch).

Die Hirschs waren jüdischen Glaubens und betrieben im Untergeschoss eine koschere Metzgerei.

Auf der rechten Seite der Straße führte eine Art Rampe zum Küfer Jobelius und erleichterte somit den Abtransport von Fässern. Im Vordergrund rechts zu erkennen: Ein Basalt-Rundbogengewände, welches den Eingang zu einem kleinen Gärtchen bildete.

 

Das Gewände war mit Engelsköpfen ornamentiert. Inwieweit das Grundstück mit Kirche oder Kloster in Verbindung stand kann nur vermutet werden.

Die komplette ursprüngliche Bebauung oberhalb des Osttores und hier rechts der Bachstraße gelegen, ist leider vor einigen Jahrzehnten weggerissen worden. Ein dreigeschossiger Wohnbau, Schuppen und Garagen verdrängten dieses einmalige Ensemble aus dem 17. Jahrhundert. (Foto etwa um 1900)

1918 verkauften die Hirschs ihr Anwesen an eine Familie, die als letzte in Beilstein vom Moselfischfang lebte. das 5-7 Meter hohe Holzgerüst auf der gegenüberliegenden Straßenseite diente dem Trocknen und Flicken der Fischernetze. Das Foto ist an einem Fronleichnam-Wochenende in den 20er Jahren entstanden. Das Fensterchen über dem Osttorbogen sieht im Vergleich zum vorangegangenen Foto recht anders aus. Zur Fronleichnamsprozession stellte die Familie Jobelius eine Art Altärchen in das geöffnete Fenster.

Links neben dem Torbogen ein zweiachsiger Leiterwagen, der zumeist von einer Kuh gezogen wurde. Davor ein einachsiger Karren, indem seltener eine Kuh eingespannt war, zumeist wurde die sogenannte Karr von Menschenhand geschoben. Die Karr war jahrhundertelang das wichtigste Transportmittel in den Winzerdörfern an der Mosel, so auch in Beilstein.

Wir schreiten die Bachstraße noch ein wenig hinab Richtung Mosel.

Hinter dem Torbogen zerteilt das Haus Kölzer die Straße.

Linker Hand führt sie auf den Marktplatz, zur Rechten verengt sie sich auf eine Breite von mitunter nur 2,10 Metern.

(Aufnahme etwa 1920)

Über den offenen Rinnstein wird hier Abwasser Richtung Mosel abgeleitet.

Die ältere Dame ist offensichtlich damit beschäftigt mittels eines Reisigbesesns diesem Rinnsal Vorschub zu leisten und es dem darunter liegenden Nachbarn zuzuführen.

Der Fachterminus für diese Vorgehensweise lautet St. Floriansprinzip.

In der rechten Hauswand sind zahlreiche Riefen im Putz zu erkennen.

Jahrhundertelanges Durchzwängen mit großen, breiten Leiterwagen durch diesen sehr schmalen Engpass haben ihre deutlichen Spuren hinterlassen.
(Aufnahme etwa 1900)

Von Leiterwagen und anderen Gefährten

Ein derartiger zweiachsiger Leiterwagen und ein einachsiger Karr sind auf diesem Foto von etwa 1900 – aufgenommen vor dem Beilsteiner Zehnthauskeller – noch viel besser zu erkennen.

Am Ende des schmalen Durchgangs zwischen Zehnthaus und Bürgerhaus steht übrigens ein Karr mit aufmontiertem Faß – zum Transport von Flüssigkeiten.

 

Besser zu betrachten ist eine Fasskarre auf dieser Fotografie aus den 1920er Jahren, aufgenommen am Anfang der Straße Hinter Port.

Die Kuh hinter der Karre trägt Spanngeschirr, um den vermutlich schweren Wagen fort zu bewegen.

Vollgefüllt dürfte ein solches Holzfass doch sehr schwer gewesen sein.

Das Einspannen einer Kuh bei dieser Transportaufgabe

(aufgenommen um 1920 vor dem Zollhaus in Beilstein)

dürfte für den Jungen davor eine kluge Entscheidung gewesen sein.

Nahezu jeder Beilsteiner Winzer besaß bis in die 1950er Jahre ein oder zwei Kühe. Eine Kuh war Milchproduzent und Zugmaschine zugleich.( Aufnahme etwa 1935-40)

Einen derartigen Karren mit aufgesetztem Fass lässt sich auf der rechten Abbildung, aufgenommen in den 1930er Jahren an der unteren Alten Wehrstrasse sehr viel genauer betrachten. Das Foto auf der linken Seite, aufgenommen ebenfalls in den 30er Jahren am gleichen Ort besitzt ein aufgesetztes halbes Fass, auch Bütte genannt. In der Bütte befindet sich eine Korngarbe. Für diese geringe Last ein etwas überdimensioniertes Transportmittel. Besser hätte man dieses Bündel Korn in einem Handkarren gezogen, wie er auf dem nun folgenden Foto – aufgenommen an der Nordseite des Zollhauses – zu erkennen ist.

Aufnahme um 1900

Dieser leichte zweiachsige Wagen wurde vielleicht zum Transport von größeren Mengen Heu und Stroh genutzt.

Gezogen wurde er entweder von einem Pferd, zumeist aber von einer Kuh.

Beilsteiner Winzer hatten vor hundert Jahren kaum die Mittel sich ein Pferd zu kaufen.

(Aufnahme etwa 1930 vor dem heutigen Hotel Villa Beilstein)

Beladen konnte ein derartiger Wagen mitunter so aussehen.

Die Heuernte, die hier hoch aufgeladen durch das Osttor bugsiert wird, dürfte für die Familien und deren Viehhaltung in der oberen Bachstrasse bestimmt gewesen sein.

(Aufnahme um 1930)

Für die wirklich großen und schweren Güter brauchte man hingegen ganz andere Transportlösungen.

Diese robusten zweiachsigen Wagen wurden von den Beilsteinern für schwere und große Güter benutzt, wie Holzstämme, Steine, Erde usw. Hier auf der Fotografie ( etwa 1910-1920) ist ein solcher Wagen bei der Traubenlese im Einsatz.

Die Wagen konnten nicht von Menschenhand gezogen werden.

Hier mußte eine Kuh, besser noch ein Ochse ran.

Das ist auf dieser Abbildung (datiert Oktober 1938) nun der Fall.Das Ochsengespann, welches hier die Beilsteiner Bachstraße hochzieht, soll offensichtlich anschließend etwas sehr Schweres ins Dorf zurückbringen. Im Monat Oktober dürfte es sich wahrscheinlich um eine oder mehrere Traubenbütten handeln.

 

Eine solche vollgefüllte Traubenbütte bildet dieses Foto aus den 1930er Jahren ab.

Die eingespannte Kuh hat hier den schweren zweiachsigen Wagen auf die Fähre gezogen.

Es handelt sich offensichtlich um in Beilstein gelesene Trauben, die in Ellenz weiter verarbeitet werden sollten.

 

Diese Aufnahme zeigt eine Reihe von Winzern an der Moseluferstrasse während der Traubenlese.

Drei der schweren Fuhrwerke besitzen auf den Bütten je eine Traubenmühle.

Das Lesegut wird sofort durch eine Stachelwalze gepresst und somit die Trauben vom Stielgerüst entrappt (abgetrennt).

 

Beim Inhalt dieses Fasses handelte es sich wahrscheinlich um die sogenannte „Spritzbrüh“, ein mit Pflanzengift versetztes Wassergemisch, welches mehrmals im Jahr auf die Weinstöcke aufgetragen wurde.

Vom ersten Beilsteiner Revoluzzer und „missratenem“ Sohn:
Der Beilsteiner Jakobiner Johann Nikolaus Becker

Am 25. September 1773 wird in Beilstein Johann Nikolaus Becker geboren. Seine Eltern sind der Kellerer Johann Baptist Becker und Anna Maria Becker (geb. Hoerrer). Als Kellereiverwalter bzw. Finanzverwalter ist der Vater der wichtigste Beamte der Metternich´schen Herrschaft in Beilstein. Die Metternichs hatten bereits 1688 rechtzeitig vor den Brandschatzungen des Pfälzischen Erbfolgekrieges ihre Residenz von Beilstein und Cochem nach Koblenz verlegt. Ihre Besitztümer lassen sie fortan von eingesetzten Kellerern d.h. Verwaltern bewirtschaften. Schon der Großvater von Johann Nicolaus Becker, Anton Hoerrer war Kellerer zu Beilstein gewesen, und auch der Onkel Peter Hoerrer stand bereits als Förster in den Diensten der Familie Metternich.

 

Ab dem Ende der 1720er Jahre befindet sich das Amtshaus bzw. die fürstgräfliche Kellerei in einem 1727 großzügig neu errichteten Fachwerkhaus auf dem Marktplatz (heute Hotel Haus Lipmann).

Das Haus dient dem Kellerer Becker als Finanzverwaltung und seiner Familie wohl auch als Wohnhaus.

In diesem Gebäude kommt Johann N. Becker im Herbst 1773 als viertes von insgesamt 13 Kindern zur Welt.

Zwei seiner älteren Geschwister versterben bereits vor seinem eigenen Geburtsjahr als Kleinkinder.

Schwester Angela am 5.10.1768 mit vier Monaten, Bruder Johann Baptist am 11.12.1770 mit einem Jahr.

Bürgerhaus/ Alte Schule (ehemalige Pfarrkirche) und Hotel Lipmann (ehemalige fürstgräfliche Kellnerei), Zustand etwa 1900

Katasterplan von 1869: Amtshaus blau markiert, Krypta unterhalb der Kirche grün markiert

 

Die beiden werden in der Krypta der ehemaligen Pfarrkirche (heute gelegen unterhalb des Eingangbereiches zum Bürgerhaus am Marktplatz) keine fünf Meter neben dem Wohnhaus der Beckers beigesetzt.

Von 13 Kindern sterben schon acht im Kindesalter.

 

Hingegen wird sein jüngster Bruder Carl Joseph, nahezu 20 Jahre später am 18. März 1792 in Beilstein geboren, zu einem bedeutenden Altertumsforscher und Kunsthistoriker in Preußen.

Ein Detailausschnitt aus einem Gemälde von A. Leimgrub bildet Carl Becker (rechts) im Jahre 1853 im Kreise seiner Kunstfreunde ab.

Franz Georg Karl Graf von Metternich (1746-1818)

 

Seine Herkunft aus einer Familie landesherrschaftlicher Bediensteter ermöglicht Johann N. Becker, nicht zuletzt mit Unterstützung des seinerzeitigen Beilsteiner Landesherren Franz Georg Karl Graf von Metternich den Besuch des Jesuitengymnasiums in Koblenz (heute Görres Gymnasium).

Zuvor hatte er in Beilstein die Karmeliter Schule besucht.

Der Graf Metternich ist sich des Werdeganges seines Schützlinges wohl allzu gewiss.

Hätten Graf und Vater Becker geahnt, was aus dem jungen Becker später einmal werden würde, man hätte ihn wohl bei Wasser und Brot für einige Jahre im Turm der Burgruine eingemauert.

Die Geschichte nimmt einen anderen Lauf:

 

Nach Besuch des Gymnasiums schließt sich ein Jurastudium in Mainz (1792-93) und Göttingen (1993-94) an. Es folgt in den Jahren 1794-96 eine Praktikantentätigkeit am Reichskammergericht in Wetzlar und 1796-97 am Reichshofrat in Wien. In seine Mainzer Studienzeit fallen die Ereignisse um die revolutionäre Mainzer Republik und Becker entwickelt sich zu einem begeisterten Anhänger der Französischen Revolution, wohl auch zum Mitglied des Mainzer Jakobinerclubs. Er verlässt Mainz erst kurz vor der preußischen Rückeroberung im April 1793. Möglicherweise waren der Besuch des Jesuitengymnasiums, ebenso seine Kindheit in der Beilsteiner Karmeliterschule ursächlich für seine offen vertretene Ablehnung gegenüber Adel und Klerus. Vom Herbst 1794 bis zum Frühjahr 1796 weilt Becker zeitweise in Würzburg. Ab 1797 ist er gemeinsam mit seinem Freund Joseph Görres in Koblenz bezeugt und dort als freier Journalist, Schriftsteller und Strafverteidiger tätig.

Versammlung des Mainzer Jakobinerclubs 1793

 

Als talentierter Schriftsteller (mitunter schreibt er unter dem Pseudonym Apollonius von Beilstein) bereiste er 1797 die Rhein- und Moselgegend. Seine pointiert und sarkastisch gehaltenen Reisebeschreibungen, gespickt mit antiklerikalen und revolutionären Ausführungen werden 1798 publiziert unter dem Titel:

Fragmente aus den Tagebüchern eines Neu-Franken -Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberg, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der französischen Republik.

Seine 1797 geführten Beschreibungen zu Beilstein sind durchaus als bitterböse Abrechnung mit seiner Kindheit und Jugend im Ort zu deuten, unter der Fuchtel der gräflichen Beamten (u.a. seines Vaters) und den Karmeliter-Mönchen.

So beginnt er seine Ausführungen folgendermaßen:

„Beilstein ist ein schmutziger, kleiner und sehr unbedeutender Ort, ehemals dem Grafen von Metternich-Winneburg gehörte, der hier zwei Beamten hatte.“

„(…), sieht sich Beilstein vom Ellenzer Berge aus, wie eine gelbliche Schindgrube in einer Bergschlucht aus.“

„In Beilstein gibt es auch ein Mönchskloster von dem Orden der beschuhten Karmeliten. Dieß Kloster hat eine schöne Lage auf einem Berge hinter dem Dorfe, und ist gut genug gebaut. Aber seine Einwohner waren von jeher Dummköpfe und Buben, die so recht vom Orden aus dem Troß auserlesen zu sein schienen. Was das schlimmste ist, so hat der Prior oder sonst ein Mönch zugleich die Pfarre versehen, (…) Nie habe ich die Erziehung der Jugend in schlechteren Händen gesehen, als hier. Aber was kümmert das den Grafen und seine Kanzellei? Die Einrichtung der Schulen kostet Geld, und gute Rathgeber. Man hatte weder das eine noch das andere.“

Soweit einige Zitate Beckers  zu seinen Beilsteiner Reiseeindrücken aus dem Sommer 1797. Im Anhang dieses Buches (1798 in Frankfurt/ Leipzig herausgegeben) findet sich dann noch ein von Becker zusammengetragenes Idiotikum (Mundart- bzw. Dialektwörterbuch), welches zahlreiche Begriffe aus dem Moseldialekt ins Hochdeutsche übersetzte. Das hatte vor ihm noch niemand sprachwissenschaftlich erarbeitet.

Becker bezeichnet sich seinerzeit selber als „Neufranke“, also als neuer Franzose und Anhänger der revolutionären politischen Verhältnisse jener Zeit. Nur wenige Jahre später wird seine Heimat, die Moselregion, dann auch tatsächlich (bis 1814/15) offizieller Teil Frankreichs. 1798 hält er sich auf dem Rastatter Kongress auf und formulierte anschließend eine scharfe Polemik gegen den kaiserlichen Gesandten Fürst Metternich. Ironischerweise war jener, Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich-Winneburg zu Beilstein im gleichen Jahr, 1773 geboren und der Sohn des alten Grafen Metternich. Beckers Vater hat lange für den alten Grafen Metternich als Kellerer in Beilstein gearbeitet und es ist hochwahrscheinlich, dass sich Becker und der junge Graf Metternich schon als gleichaltrige Kinder begegnet sind. Seine Polemiken gegenüber Metternich bringen ihm einige Monate Festungshaft in Würzburg ein, die er 1799 durch eine höchst abenteuerliche Flucht von sich aus beendet. Im Jahr 1800 wird er in Koblenz Mitbegründer der revolutionären Zeitung „Der Bewohner des Westrheins“. Hier ist der literarisch recht gebildete Becker zu jener Zeit auch Mitglied der „Literarischen Gesellschaft“.

Als Humanist und Intellektueller prangert er das Fehlen jeglicher wissenschaftlichen Bildung im jüngst untergegangenen Kurfürstentum Trier an. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts wendet sich unser Beilsteiner Revoluzzer desillusioniert von der alltäglichen Realität der Französischen Revolution ab und begibt sich als studierter Jurist in den französischen Staatsdienst. In Kirn/ Hunsrück wird er Friedensrichter. Ab 1803 bis zu seinem Tod in Simmern/ Hunsrück beim Tribunal 1. Instanz Sicherheitsbeamter.

 

In diesen wirren Jahren zwischen dem Zusammenbruch der alten feudalen Herrschaftsstrukturen und dem Neuaufbau des französischen Polizei- und Justizwesens ist unsere Gegend gebeutelt von brutalen Räuberbanden.

Becker verfolgt in seiner Funktion unnachgiebig die rheinischen Räuberbanden jener Epoche, wie beispielsweise „Die Moselbande“ oder „Die Schinder-Hannes-Bande“.

1804 publiziert er zu diesem Thema das zweibändige Werk:

Aktenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins.

Hierin beschreibt er hoch interessant und bildhaft seine persönlich geführten Verhöre mit dem gefangenen Johannes Bückler, genannt  „Schinderhannes“ nach seiner Verhaftung im Jahre 1802.

Becker beschreibt den Schinderhannes“ als intelligenten jungen Mann, zugleich aber als feige und stets darauf bedacht seine Taten nach Möglichkeit anderen Bandenmitgliedern zuzuweisen.

Vor allem die Aufzeichnungen des Beilsteiner Juristen Johann Nikolaus Becker haben das Bild des Räuberhauptmannes „Schinderhannes“ für die Nachwelt erhalten.

Leider werden Beckers Berichte nicht zur Grundlage einer Vorstellung, welche sich die Nachwelt über Hans Bückler machte. Mündliche Erzählungen, der 1927 erschienene Roman von Carl Zuckmayer und letztendlich der 1958er Spielfilm Schinderhannes mit Curd Jürgens in der Hauptrolle verklären das Bild des Räubers und mutmaßlichen Mörders vollends zu einem deutschen Robin Hood.

In Ausübung seines Amtes ist Becker kurz vor Weihnachten am 17. Dezember 1809 bei einem Ausritt im Soonwald (gelegen im Südosten des heutigen Rhein-Hunsrück-Kreises) durch einen Reitunfall ums Leben gekommen.

Beilstein hat zu keinem Zeitpunkt an diesen bedeutenden Literaten und einzigen Revolutionär des Ortes erinnert. Dieser missliche Umstand und die Person Johann Nikolaus Becker soll mit diesem Beitrag nunmehr eine, wenn auch späte, Neubewertung erfahren.

Literatur und Medienempfehlung:

  • Becker Johann Nikolaus: Fragmente aus dem Tagebuche eines reisenden Neu-Franken, Frankfurt und Leipzig 1798, Nachdruck, Bremen 1985
  • Becker Johann Nikolaus: Actenmäßige Geschichte der Räuberbanden an den beyden Ufern des Rheins, Cöln 1804, Nachdruck, Berlin ca.1980
  • Behrens Klaus (Hrsg.): Die Publizistik der Mainzer Jakobiner und ihrer Gegner, Ausstellungskatalog, Mainz 1993
  • Reif Heinz (Hrsg.): Räuber, Volk und Obrigkeit, Frankfurt/ M. 1984
  • Badisches Landesmuseum Karlsruhe: Schurke oder Held – Historische Räuber und Räuberbanden, Ausstellungskatalog, Karlsruhe 1995
  • Hobsbawm Eric: Die Banditen – Räuber als Sozialrebellen, dt. Ausgabe München 2007

Räuberbanden an der Mosel