Schulchronik Jahr 1946
Volkszählung
Am 26./27. Januar fand in der französischen Zone eine Volks- und Berufszählung statt. Die Zahl der ortsansässigen Personen betrug 208. Am 29./30. Oktober fand eine Volks- und Berufszählung in allen 4 Zonen (amerik., engl., franz. u. russ.) statt. Das Ergebnis betrug 212.
Vom Verkehr
Ab 4. Februar ist wieder eine Postauto-Verbindung mit Kochem eingerichtet. Briefmarken der Zone Francaise gelangen zur Ausgabe. Am 1. August wurde Frau Lehrerin Klapperich nach Mesenich versetzt und die Verwaltung der hiesigen Lehrerstelle dem Lehrer Josef Kahlki wieder übertragen.
Schicksal
Nach fast 6jähriger Abwesenheit kehrte ich mit meiner Familie am 20. Dez. 1945 an meinen alten Wirkungsort zurück. Unter dem Druck der örtlichen Machthaber mußte ich 1940, da ich „konfessionell gebunden“ und „politisch unzuverlässig“ sei, Beilstein verlassen. Der Kreisleiter hatte ihnen schon im Juni 1939 versichert, daß sie mich demnächst los sein würden, da bald für mich im Osten Platz frei würde. Nachdem ich mich nun vergewissert hatte, das meine Versetzung nach dem Osten beschlossene Sache sei, meldete ich mich nach Gramlenz, um wenigstens eine Stabsstelle zu erhalten. 5 Jahre wirkte ich dort unter den schwierigsten Umständen. Da ich mich weigerte ein Amt in der Partei zu übernehmen, drohte man mir mit dem Ausschuß aus derselben, der dann auch wegen einer unvorsichtigen Äußerung in der Berufsschule am 1.8.40 erfolgte. Aus Gramlenz mußten wir im Januar 1945 bei dem schnellen Herannahen der Russen flüchten und sämtliches Eigentum zurücklassen. Die Familie wurde auseinandergerissen. Ich konnte Gramlenz erst am 26.1. verlassen. Der letzte Transportzug war weg. Mit ein wenig Gepäck ging ich über das Eis der Weichsel und schloß mich einem Treck an. Bei 28 Grad Kälte und heftigem Schneesturm durchquerten wir die Tunheler Heide und erreichten nach 8-tägigem grausigem Marsch, auf dem ich Zeuge furchtbarster Elends war, in Pommern noch verkehrende Transportzüge. Am 20.2. gelangte ich nach Döbeln in Sachsen, wo ich meine Frau und das 4 jährige Kind wiederfand. Ich meldete mich bei der Schulbehörde und erhielt als Lehrer Beschäftigung. Am 5.5. erlebte ich dort den Einmarsch der Russen. Wir hatten Glück und blieben unbelästigt.8 Tage später wurde die Lehrerschaft im Ordnungsdienst eingesetzt. Eine Binde mit russischer Aufschrift am Arm, zogen wir durch die Dörfer um festzustellen, wie es in den Bauernhöfen aussieht und plündernde Polen abzudrängen. Das war von unseren Auftraggebern gut gedacht, doch nicht durchzuführen. Die Kugeln der umherstreifenden Russen saßen gar locker; über unsere gestempelten Armbinden und Ausweise lachten sie. Nach 8 Wochen durften wir mit dem Unterricht beginnen. Nur wenige Lehrer blieben im Dienst. Meine frühere Tätigkeit als NSV-Walter fiel nicht in die Wagschale, ich durfte weiter Dienst tun. Am 7.11.45 erhielt ich vom Flüchtlingsamt die Aufforderung, mich mit meiner Familie unverzüglich nach Leipzig zu begeben, von wo aus binnen kurzer Zeit ein Transport nach dem Westen gehe. In Leipzig hielt man uns 4 ½ Wochen im Sammellager fest. Endlich konnten wir uns einem Transport anschließen. Nach ungeheuren Strapazen kamen wir dann entkräftet und zermürbt hier an. Alles, was wir uns in 25 Jahren mühsam erarbeitet und beschafft hatten, ist verloren. Die Kleider am Leibe, etwas Wäsche im Koffer und etwas Geld, das wir noch von unseren Konten abheben konnten, ist all unser Hab und Gut. Dank der Hilfe guter Menschen in Beilstein konnten wir uns ein Zimmer in der Schule wohnlich herrichten. Man half uns, wo man nur konnte. Ich meldete mich zum Wiedereintritt in den Schuldienst und bewarb mich auf Drängen der Bevölkerung um die hiesige Lehrerstelle. Der Vertrauensmann der „Antifa“, Herr Lipmann, der Herr Pfarrer Maringer und der Ortsbürgermeister, Herr Edmund Kochems befprworteten gerne mein Gesuch, dem dann auch stattgegeben wurde.
Am 15. September fanden die Gemeindewahlen statt. Ein Wahlvorschlag war nicht eingereicht. Einmütig brachte man bei 91prozentiger Wahlbeteiligung 6 Kandidaten durch. Bei der Kreistagswahl am 13. Oktober beteiligten sich 87% der Bevölkerung. Es entfielen auf die
LDP 78
KPD 6
SPD 4 Stimmen
Wildschweinschäden
Wildschweine haben unter den Herbstsaaten großen Schaden angerichtet. Viele Felder waren so zerwühlt, daß sie im Frühjahr umgepflügt werden mußten. Auch in den Kartoffelfeldern wurde beträchtlicher Schaden angerichtet. Die Gemeinde richtete im Laufe des Sommers einen Abwehrdienst ein. Jeden Abend zogen 2 Mann mit Lärminstrumenten versehen auf die Höhe und patrouillierten die Felder ab. Diese Maßnahme hatte Erfolg.
Schulentlassung und -aufnahme
Am Schluss des Schuljahres wurden 1 Junge und 4 Mädchen entlassen, 3 Jungen und 1 Mädchen aufgenommen. Die Schülerzahl sank auf 40.
Vom „Herbst“
Die Weinlese begann am 18. Oktober. Der Traubenanfall war weit geringer als erwartet. Dies ist besonders in den Bergen der Fall, die unter dem Roten Brenner zu leiden hatten. Immerhin gab es einen Drittelherbst. Das Mostgewicht lag zwischen 75 und 90 Grad bei einer Gesamtsäure von 9,5 bis 11 pro Mitte. Bei dieser Zusammensetzung des Mostes verspricht der 1946er ein ganz vorzüglicher Naturwein zu werden. Nicht alle Jahre werden solche Qualitätsweine erzielt. Obst gab es in diesem Jahr sehr wenig.
Mitte Dezember setzte ein strenger Winter ein. Das Thermometer zeigte bis 18 Grad unter Null. Die Mosel fror zu.
Kirchenmusik
Auf dem Gebiet der Kirchenmusik ist auch in unserem kleinen Dörfchen ein Wiederaufleben zu verzeichnen. Von dem ehemaligen Männerchor waren bei meiner Rückkehr nur noch 6 Mitglieder vorhanden; 3 sind gefallen, 4 noch in Kriegsgefangenschaft, 1 gestorben, 2 verzogen, 1 wegen hohen Alters ausgeschieden. „Mit unserem Gesang ist es vorbei“, erklärte mir der kleine Rest bekümmerten Herzens. Ich versuchte nun mit Sängern aus dem Filialorte Briedern einen Chor aufzustellen, doch mußte ich diesen Plan wieder fallen lassen, da das Erscheinen der Sänger zu den Proben bald so unregelmäßig wurde, daß eine gesangliche Darbietung gefährdet war. Bei einer Werbung von Haus zu Haus gelang es mir, alle stimmbegabten Beilsteiner-(innen) für einen gemischten Chor zu interessieren. Zum Weihnachtsfeste konnte der 30 Mitglieder zählende Chor die Kirchenbesucher mit beachtlichen Leistungen erfreuen. Da nichts „in die Brüche gegangen“ war, wuchs das Selbstvertrauen und der Eifer des neuen Chores. Die Proben sind für ihn nichts Lästiges, sondern willkommene Abwechslung. Man findet Gefallen an der kirchenmusikalischen Schulung und ist dankbar dafür.
Beilstein, den 28.12.1946
Kahlki, Lehrer